Lebenslauf: Mut zur Lücke

Eine schwere Zeit, und er ist da: der Bruch im Lebenslauf, den Bewerber am liebsten verschweigen würden.

Sollten sie aber nicht. Denn wie wir Krisen meistern, ist für Personaler interessant. Meistens ist es dennoch nicht nötig, zu sehr ins Detail zu gehen


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Von Gunda Achterhold

Miriam Häuser (Name geändert) hat vor einigen Wochen ihr Studium beendet – nach vierzehn Semestern. Jetzt schreibt die sportliche und kulturinteressierte Kommunikationswissenschaftlerin Bewerbungen, wirkt dabei aber ziemlich mutlos. „Wie soll ich denn kaschieren, dass ich so lange gebraucht habe?“, fragt sie und zeigt auf ihren Lebenslauf: passabler Notendurchschnitt, einige Praktika und Engagement in ehrenamtlichen Projekten. Was nicht im Lebenslauf steht: wie sehr die Studentin für ihren Hochschulabschluss gekämpft hat. Ein traumatisches Erlebnis hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, sie litt unter Angstzuständen und Depressionen. „Ich brauchte Zeit, um mich wieder zu fangen und auf die Füße zu kommen.“ Mit viel Kraft und Beharrlichkeit hat sie es geschafft. Häuser ging ihre Abschlussarbeit, die lange liegengeblieben war, noch einmal neu an und startete durch. Vor der Jobsuche hat sie trotzdem Angst. „Jeder wird mich fragen, warum ich so lange studiert habe. Was sage ich dann?“

„Kein Lebenslauf ist perfekt“, beruhigt Caren Bele Mester. Die Psychologin arbeitet als Personalbeschafferin beim Mobilfunkanbieter Telefónica und sitzt in Bewerbungsgesprächen auf der anderen Seite des Tisches. „Ich würde es als extrem positiv bewerten, wenn jemand eine so schwierige Zeit gemeistert hat“, betont sie. „Das zeigt Stärke und sagt viel über die Fähigkeit eines Bewerbers aus, mit Niederlagen und Rückschlägen umzugehen.“ Mester hält Ehrlichkeit für die beste Lösung – allerdings ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Ein langes Studium oder eine Lücke im Lebenslauf kann ich mit einer persönlich herausfordernden, schwierigen Zeit begründen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.“ Auch ihr Telefónica-Kollege Andreas Deuring schätzt Offenheit. „Für ein Unternehmen ist der positive Mehrwert entscheidend“, stellt der Personalbeschaffer fest. „Wenn mir jemand den Eindruck vermittelt, das ist Teil meiner Vergangenheit, da stehe ich jetzt drüber, dann sind auch sieben Jahre Studium für mich in Ordnung.“ Viel schlimmer findet er es, wenn Kandidaten um den heißen Brei herumreden. „Das spüre ich sofort.“ Erst kürzlich saß ein Bewerber vor ihm, der sich schnell in Ungereimtheiten verstrickte. „Wie unangenehm die Wahrheit auch ist“, sagt der Betriebswirt, „wenn beim Personalbeschaffer das Gefühl entsteht, da antwortet jemand nicht ehrlich, dann wird’s kritisch.“

Es ist eine Krux. Wer eine tiefe Krise überwindet, hat allen Grund, stolz auf sich zu sein. Es beweist Willenskraft und Disziplin, Fähigkeiten, die auch für einen Personaler hochinteressant sind. Schließlich geht es im Vorstellungsgespräch nicht nur um die fachlichen Qualifikationen, sondern auch um die Persönlichkeit eines Bewerbers. Ist Offenheit im Umgang mit schwierigen Lebensphasen also wirklich die bessere Strategie? „Machen wir uns nichts vor“, sagt Martina Kock, Senior Consultant bei der Hamburger Personalberatung Head Quest: „Alles, was die Schwächen der Psyche betrifft, wird mit Abwehr betrachtet.“ Die Diagnose Burnout sei inzwischen zwar selbst unter Leistungsträgern salonfähig geworden. „Aber wenn jemand seelisch schwächelt, ist das den meisten Entscheidern unheimlich“, sagt die Psychologin. „Ehrlichkeit ist schön, aber ich würde es nicht zu sehr zum Thema machen.“ Kock vermittelt Fach- und Führungskräfte. Brüche im Lebenslauf sind aus ihrer Sicht keine Seltenheit. Krisen und Krankheit, der Verlust eines Angehörigen oder Probleme am Arbeitsplatz hinterlassen oftmals Spuren im Lebenslauf. „Ich kann die Angst verstehen, dass nach so einer Lücke gefragt wird“, sagt sie. „Aber es geht im Bewerbungsgespräch nicht um die Frage, was in meinem Leben ,schiefgelaufen‘ ist. Es geht darum, überzeugend zu erklären, was ich kann und warum ich für den Job geeignet bin.“ Wer sich zu stark auf die vermeintliche Schwachstelle im Lebenslauf fokussiert, ist oftmals nicht mehr in der Lage, die eigenen Stärken zu sehen.

Marina Weber (Name geändert) ist eine richtige Powerfrau, hochqualifiziert, immer guter Laune. Und doch fällt es ihr schwer zu zeigen, was sie kann. Nach dem Studium fand die Naturwissenschaftlerin sofort einen Traumjob als Führungskraft – der sich allerdings als Schleudersitz entpuppte. Vereinbarungen wurden nicht eingehalten, eine tyrannische Chefin machte dem Team das Leben schwer. Weber wechselte die Firma und arbeitete auf einer weniger glanzvollen Position. Von ihrem Umfeld unbemerkt litt sie schon jahrelang an Essstörungen, die sie jedoch einigermaßen beherrschte. Durch die neue berufliche Situation wurden sie nun aber akut. „Ich habe gemerkt, dass ich mich jetzt wirklich auf mich konzentrieren und etwas tun muss“, stellt sie rückblickend fest. Sie zog die Notbremse, machte eine Therapie und ließ den Vertrag auslaufen. Die 28 Jahre alte Wissenschaftlerin hat die Krankheit in den Griff gekriegt, ist glücklich, dass sie es geschafft hat. Sie macht nun noch eine Weiterbildung und hat ein klares Ziel vor Augen. Ihr Lebenslauf ist beeindruckend, auch schlüssig. Und doch empfindet Weber den beruflichen Bruch wie ein Brandmal. „Ein Wechsel des Arbeitgebers lässt sich besser sachlich begründen“, sagt Personalberaterin Kock. Mit fehlenden Aufstiegschancen zum Beispiel oder Umstrukturierungen innerhalb des Unternehmens. „Wichtig ist, dass man sich nicht über diese Zäsur definiert“, betont sie. „Sonst kriegt sie ein Gewicht, das sie nicht haben soll.“ Schließlich ist jede Station im Lebenslauf nur ein Baustein im Gesamtbild. Weitschweifige Ausführungen sind deshalb weder nötig noch gewünscht. Es liegt im eigenen Interesse, ein sensibles Thema nicht breitzutreten und das Gespräch zügig wieder auf sicheres Terrain zu lenken. Personalberater entwickeln mit ihren Kandidaten einen prägnanten Erklärungsansatz, der einleuchtet und möglichst nah an der Wahrheit bleibt. Welche Informationen sind für den Personalbeschaffer wichtig, damit er sieht, dass ich mich durchbeißen kann? Und welche sind belanglos? „So viel wie möglich erzählen, aber nichts, was die eigene Position schwächt“, lautet die Devise von Carmen Kraushaar. Die Partnerin der Münchner QRC Group Personalberatung unterstützt IT- und Engineering-Firmen bei der Suche nach Fachkräften. „Personaler sind geschult und spüren sofort, wenn eine Geschichte weit hergeholt ist.“ Egal ob man sich dafür entscheidet, ein langes Studium mit einer persönlich schwierigen Zeit zu begründen oder damit, dass man es sich selbst finanzieren musste: Entscheidend ist, den Bogen zu schlagen hin zu dem, was man aus dieser Phase gelernt hat. Wie gehe ich mit Herausforderungen um? Wie kann ich diese Fähigkeiten positiv besetzen und rüberbringen, dass sie dem Unternehmen nicht schaden, sondern sogar nützen? „Wer nach sieben Jahren doch noch den Abschluss hinkriegt, der hat Willen und Kampfgeist gezeigt“, sagt Kraushaar. „Da ist ein roter Faden sichtbar.“ Den freizulegen und überzeugend zu präsentieren ist die eigentliche Herausforderung. „Man kann Situationen schildern, ohne sich in Details zu verlieren“, betont auch sie. „Wo es zu persönlich wird, kann ich eine Grenze ziehen. Die Privatsphäre ist gesetzlich geschützt.“

Michael Brych nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Personalleiter der Bordnetz-Abteilung des Technologieherstellers Leoni in Kitzingen hat schon viele Bewerber kommen und gehen sehen. „Vor 15 Jahren war die Bereitschaft, auch mal jemanden zu nehmen, der eine Kante im Lebenslauf hat, sehr viel größer“, stellt er fest. Das hat sich geändert. Wo Regelstudienzeit, Praktika und Auslandsaufenthalt zum Standard gehören, ist die Einstiegshürde für Lebensläufe, die nicht der Norm entsprechen, viel höher. „Das ist auch eine Frage der Branche und der Unternehmenskultur“, sagt Brych. Er selbst weiß es zu schätzen, wenn Bewerber unangenehme Wahrheiten auf den Tisch legen. „Dann kann ich mir selbst ein Urteil bilden.“ Für ein allgemeingültiges Erfolgsrezept hält er den freimütigen Umgang mit sensiblen Informationen jedoch nicht. „Die Reaktionen werden sehr unterschiedlich ausfallen – und Sie wissen nie, auf wen Sie treffen.“ Letztlich geht es für den Personaler immer um den Gesamteindruck. „Wir erleben als Recruiter so viele Absolventen mit stromlinienförmigen Werdegängen“, sagt Brych. „Menschen, die etwas erlebt und Widerstände überwunden haben, bilden eine Persönlichkeit aus und treten ganz anders auf. Das sehe ich positiv.“ Es geht also weniger darum, im Bewerbungsgespräch aus dem Nähkästchen zu plaudern oder sich gar zu entblößen. Viel entscheidender ist, sich seiner Stärken bewusstzuwerden. Denn wer innerlich anerkennen kann, was er in schwierigen Zeiten geleistet hat, strahlt das auch aus. So kann aus einer Lücke eine Leistung werden.

 

Tabuthemen im Vorstellungsgespräch In einem Bewerbungsgespräch gibt es Fragen, die unhöflich und unsensibel wirken. Es gibt aber auch Fragen, die unzulässig sind. Etwa: „Sind Sie katholisch?“, bei Frauen die Frage nach einer möglichen Schwangerschaft oder nach Auskunft zur sexuellen Orientierung. Solche Themen sollten Personalmanager seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 2006 vermeiden. Rechtlich gesehen seien diese Fragen zwar nicht verboten, sagt Arbeitsrechtler Jan Reich von der Kanzlei Fischer Rechtsanwälte in Frankfurt. Aber der Fragesteller müsse damit rechnen, womöglich wegen Diskriminierung verklagt zu werden. Doch nicht nur Fragen nach der Religionszugehörigkeit, der Weltanschauung oder der sexuellen Identität sind tabu. Ebensowenig sollte nach den Vorgaben des AGG ein Bewerber nach seiner Rasse oder ethnischen Herkunft ausgefragt werden. Auch das Nachhaken beim Thema Gesundheit könnte rechtliche Folgen haben. Fragen nach einer genetischen Veranlagung zu Krankheiten oder einer nicht auf den ersten Blick zu erkennenden Schwerbehinderung (etwa ein Herzklappenfehler) sollte der Arbeitgeber tunlichst vermeiden. Auch die Frage nach einer HIV-Infektion schließt sich nach aktueller Rechtsprechung aus. Selbst wenn das AGG dem Bewerber generell Schutz vor Diskriminierung gewährt, in Ausnahmesituationen ist er dennoch verpflichtet, indiskrete Fragen zu beantworten, und zwar bei einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers. Dann besteht eine Offenbarungspflicht, die aber von Fall zu Fall individuell abzuwägen ist. Fragen nach einer möglichen Gewerkschaftszugehörigkeit oder Parteimitgliedschaft sowie nach Vorstrafen sind indes nicht wegen der AGG-Auflagen unzulässig, sondern stehen im Konflikt mit dem Persönlichkeitsrecht und dem Datenschutz. Was aber ist die angemessene Antwort, wenn ein Personaler ein Tabuthema streift? Ein einfaches Nein ist zulässig, sagen Experten. Wird der Bewerber angestellt und stellt sich seine Antwort später als inkorrekt heraus, kann er deswegen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.