Arbeitsvertrag: Und das soll ich unterschreiben?

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Viele Berufseinsteiger können mit den steifen Formulierungen in klassischen Arbeitsverträgen nicht mehr viel anfangen. Wer als Arbeitgeber ‚in‘ sein will, schwenkt deshalb auf das ‚Du‘ um.

Von Corinna Budras

So ein Arbeitsvertrag kann schon etwas Einschüchterndes haben: 20 Seiten geballtes Juristendeutsch mit unverständlichen Fachwörtern und einer schier endlosen Aufzählung von Eventualitäten: Besonders die vielen Verbote, gepaart mit deftigen Vertragsstrafen, können einem die Aussicht auf den neuen Job ordentlich vermiesen. Schnell entsteht der Eindruck, dass man sein letztes Hemd an der Eingangspforte abgibt – und gleichzeitig wenig dafür bekommt.

Da ist man ohne Wenn und Aber zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet, wer dagegen verstößt, dem droht als Strafe ein vier- oder fünfstelliger Betrag. Wenn einem die neue Arbeit nicht passt, kann man nicht einfach so zur Konkurrenz abwandern. Die in Arbeitsverträgen typische Wettbewerbsklausel verdonnert zu monatelangen Zwangspausen. Schnell kann es geschehen, dass die gute Nachricht im Klauselgewirr geradezu untergeht: Die Beförderung taucht irgendwo auf Seite 14 unten auf. Und das Gehalt klingt zwar irgendwie nach mehr, aber so richtig glauben kann man es nicht. Auch da wird es irgendeinen Haken geben.

Kara Preedy hat solche Geschichten schon häufig gehört. Als Arbeitsrechtlerin der Kanzlei Pusch Wahlig in Berlin feilt sie tagein, tagaus an Arbeitsverträgen. Dabei kann das Unternehmen noch so sehr an seinem Image als junger, frischer Arbeitgeber basteln, beim Arbeitsvertrag hört der Spaß meist auf. Dann muss alles sehr lang und sehr komplex werden. „Das Arbeitsrecht dient immer noch zur Absicherung der pathologischen Fälle“, sagt Preedy. Der „worst case“ wird darin zum alles dominierenden Modell. Dass die überwiegende Masse der Mitarbeiter weder ständig schwänzt noch Geheimnisse herausposaunt und schon gar nicht klaut, scheint in der Vertragsgestaltung völlig unterzugehen.

„Da werden Klauseln in Verträge hineingeschrieben, die mich auch stutzig machen würden“, sagt Preedy. Schuld daran sind vor allem die Gerichte. Die haben die Anforderungen an Klauseln in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft. Sie sollen transparent sein und den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Stets soll er erkennen können, welche Folgen ihm drohen. Im Laufe der Zeit ist da die Klarheit und Einfachheit der Vertragsvereinbarungen schlicht auf der Strecke geblieben. Um Vertragsstrafen heutzutage so zu formulieren, dass sie den strengen Anforderungen der Rechtsprechung genügen, müsse man inzwischen eine halbe Seite aufwenden, sagt Preedy: „Dadurch verschiebt sich der Fokus zu einem unglaublichen Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern.“

Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass gar keine Diskussion darüber geführt werde, welches Risiko man überhaupt absichern möchte, beklagt die Berliner Arbeitsrechtlerin. Bestes Beispiel: das Urlaubsrecht. Der Europäische Gerichtshof hat in den vergangenen Jahren für enorme Aufregung gesorgt, insbesondere in der doch sehr speziellen Frage, ob dauerhaft kranke Mitarbeiter ihren über Jahre hinweg nicht genommenen Urlaub anhäufen können. Die Fälle, in denen das eine Rolle spielt, sind durchaus spektakulär: Da sind diese Arbeitnehmer jahrelang krankgeschrieben und dürfen dann gleich nach ihrer Rückkehr für ein Vierteljahr in Urlaub fahren. Einziger Schönheitsfehler: Diese Fälle dürften im Promillebereich liegen. Trotzdem sind die Arbeitgeber alarmiert. Die Passagen zum Urlaub nehmen inzwischen in Standard-Verträgen mitunter eine Dreiviertelseite ein. „Ja, das kann man so machen“, sagt Preedy lakonisch. Die Skepsis ist ihr anzumerken: Sollte man aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn man die Bewerber, mit denen man gerade handelseinig geworden ist, gleich wieder vergraulen möchte. In der Konsequenz fallen ihre Verträge mitunter um die Hälfte kürzer aus, weil sie auf viele umständliche Konstruktionen schlicht verzichtet.

Auch die Struktur des Vertrages stellt sie gleich zu Anfang vom Kopf auf die Füße. „Es gibt noch viele Unternehmen, die die Kündigung schon auf der ersten Seite regeln“, erzählt sie – dabei hat das Arbeitsverhältnis noch nicht einmal begonnen. Der ganze Aufbau eines Arbeitsvertrages müsse sich viel mehr an dem Lebenszyklus des Arbeitsverhältnisses ausrichten, findet sie.

 

Je hipper sich ein Unternehmen gibt, desto mehr hat es zu verlieren, wenn das Image nicht stimmig ist. Das hat auch die Berliner Werbeagentur „diffferent“ erkannt, die sich nicht ohne Grund gleich mit drei „f“ schreibt. In jeder Hinsicht anders zu sein ist ihr wichtig, alle 80 Mitarbeiter duzen sich untereinander. Dann sollte eine neue Führungsebene eingezogen werden, es standen einige Beförderungen und Neuanstellungen an. Doch bei den Arbeitsverträgen hatte die Geschäftsführung erst den üblichen konservativen Ansatz gewählt. „Das war kein großer Sprung“, sagt die Direktorin Iris Hildebrandt. Irgendwie hatten die Verträge sogar fast etwas Abschreckendes – Beförderung hin oder her. „Wir wollten auch im Arbeitsvertrag den Geist wiederfinden, der bei uns durch die Flure weht“, berichtet Hildebrandt. „Vertrauen und Intuition ist uns wichtig.“ Mit dieser Prämisse konnten viele der Worst-Case-Szenarien in den Verträgen ausgemistet werden. „Wir haben uns noch nie mit einem Exmitarbeiter vor Gericht wiedergetroffen“, sagt Hildebrandt. „Daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.“

In der letzten Konsequenz bedeutete das auch, die neuen Mitarbeiter auch im Arbeitsvertrag mit dem vertrauensvollen „Du“ anzusprechen. Dabei erhalten selbst unangenehme Klauseln den Charme eines konstruktiven Mitarbeitergesprächs. „Bei entsprechendem betrieblichen Bedarf kannst Du versetzt werden“, heißt es etwa in der Versetzungsklausel, die in Arbeitsverträgen sonst eher in einem weniger versöhnlichen Ton gehalten ist und noch dazu oft drakonische Strafen androht. Vereinzelt sind Erklärschleifen eingebaut, die den Mitarbeitern Sinn und Zweck der Übung erläutern, sagt Hildebrandt. „Hierbei werden wir Deine Interessen angemessen berücksichtigen und Dich nur versetzen, sofern und soweit Dir dies zumutbar ist“, heißt es nun in den neuen Klauseln. Und dass Versetzungen keineswegs immer zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, weiß zwar inzwischen jede Personalabteilung, im Arbeitsvertrag wurde dieser Anreiz jedoch bisher immer verschwiegen. Bei „diffferent“ ist das jetzt anders: „Eine Versetzung kann auch im Rahmen Deiner Karriereentwicklung erfolgen. Hierbei werden wir Dich bei Deiner persönlichen Entscheidung begleiten und fördern.“

Letztlich ist das auch der Schritt, der das Employer Branding erst von dem vollmundigen Versprechen in eine belastbare Zusicherung übersetzt. Für Arbeitsrechtlerin Preedy versteckt sich hinter dem Modewort vor allem das „Nach-außen-Tragen“ einer gelebten Arbeitswirklichkeit. „Da gehört das Arbeitsrecht entscheidend dazu.“ Für sie ist es quasi „die verbindliche Visitenkarte des Employer Brandings“. Doch die wird bisher links liegengelassen. „Viele Unternehmen verkaufen sich in ihren Arbeitsverträgen unter Wert“, findet die Juristin. Offensiv vermarkten sie attraktive Anreize: Dienstcomputer, Smartphones, flexible Arbeitszeiten, Heimarbeit oder das Versprechen, in einem überschaubaren Zeitraum eine bezahlte Auszeit einlegen zu können. Doch das alles findet sich im Arbeitsvertrag nicht wieder – obwohl es durchaus nicht nur als hohle Ankündigung gemeint ist. Oder der Anspruch auf Teilzeitarbeit: Der findet sich sogar im Gesetz.

Überschaubar ist der Aufwand für Arbeitgeber, die die Verträge nur für die Neuzugänge nutzen wollen. Viel delikater ist der Umbau jedoch, wenn im Sinne einer einheitlichen Unternehmensphilosophie auch alle bestehenden Vereinbarungen überarbeitet werden müssen. Betriebe, die das nicht richtig kommunizieren, laufen Gefahr, das Gegenteil zu erreichen: Dann setzt sich in der Belegschaft schnell der Eindruck fest, damit sollen heimlich Verschlechterungen eingeführt werden. Außerdem muss das Ganze ja trotz der neuen Lockerheit noch rechtssicher formuliert werden. Dafür braucht man schon einige Zeit – sonst bringt auch eine stilvoll formulierte Vertragsklausel nichts außer Ärger.

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