Das Grundgesetz garantiert Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Doch wer seine politische Haltung zu offen zur Schau stellt, kann Ärger mit dem Arbeitgeber bekommen.
Von Josefine Janert
Ab und zu bekommt die Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation Mails in geradezu flehentlichem Ton: ob sie bitte einen Eintrag auf der Internetseite löschen könnte, und zwar möglichst bald. Die Organisation wendet sich gegen Kernkraft. Auch wer nicht Mitglied ist, kann auf der Internetseite schreiben, warum er diese Form der Energiegewinnung ablehnt – gerne unter seinem vollen Namen. Das tun viele Menschen. Dumm nur, wenn der eine oder die andere ein paar Monate später findet, dass Konzerne wie Eon, RWE und Vattenfall doch interessante Arbeitgeber sind. Die Namen dieser Unternehmen sind mit Kernenergie verbunden. Die Absender der flehentlichen Mails stellen fest, dass man ihre kritischen Einträge auf der Seite der Nichtregierungsorganisation findet, wenn man ihre Namen in eine Suchmaschine eintippt. Das könnte im Vorstellungsgespräch einen schlechten Eindruck machen, denken sie wohl. „Natürlich lösche ich die Einträge wieder, wenn die Betreffenden das wünschen“, sagt die Internetredakteurin und feixt.
„Die Haltung zur Kernenergie ist selbstverständlich kein Kriterium, nach dem wir Bewerber und Mitarbeiter fragen oder bewerten“, heißt es von Eon. Der Konzern betont, dass Kernenergie „nicht mehr zum Kerngeschäft des Unternehmens“ zähle und dass Mitarbeiter selbstverständlich die Freiheit hätten, „sich in der Öffentlichkeit als Privatpersonen auch zu politischen Fragen zu äußern, solange dies im Rahmen von Recht und Gesetz geschieht“.
Die Frage, ob und wo man seine politische Meinung kundtut, ist in Deutschland wieder zum Aufregerthema geworden. Das hängt mit dem Internet zusammen, das bekanntlich nichts vergisst – auch dank sogenannter Wayback-Maschinen wie archive.org, die frühere Versionen von Seiten sichtbar machen. Schon im vergangenen Jahrhundert wurde hierzulande heftig über Politik und Beruf diskutiert. In der DDR war es für Menschen, die den christlichen Kirchen oder der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung nahestanden, schwierig bis unmöglich, Leitungsaufgaben in einem Betrieb zu übernehmen oder sich als Wissenschaftler zu etablieren. In der Bundesrepublik waren Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im Staatsdienst nicht erwünscht.
In jüngster Zeit sind politische Gegensätze wieder stärker spürbar, was sich an den Erfolgen der Pegida-Bewegung und der Alternative für Deutschland (AfD) zeigt. Doch auch Linke bieten Anlass für Diskussionen. Vier Monate musste Kerem Schamberger warten, bis das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ihn überprüft hatte und die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ihn zum 1. Januar 2017 einstellen konnte. Der 30 Jahre alte Wissenschaftler engagiert sich in seiner Freizeit in diversen linken Vereinigungen und bezeichnet sich als Kommunist. Er glaubt, dass „die Jugend und die Menschheit insgesamt nur eine humane Zukunft haben (werden), wenn der Kapitalismus überwunden wird“, wie er auf seiner Internetseite schreibt. Dort hat Schamberger auch ein Schreiben des Verfassungsschutzes veröffentlicht, in dem er an seine „Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ erinnert wird und das die Erkenntnisse der Behörde zu seiner Person zusammenfasst. Dass Kerem Schamberger zu guter Letzt seine halbe Doktorandenstelle antreten durfte, hat er sicher auch der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) zu verdanken, die sich öffentlich für ihn einsetzte.
Eigentlich dürfte es gar keine Diskussionen geben: Das Grundgesetz garantiert im Artikel 4 die Religionsfreiheit und im Artikel 5 die Meinungsfreiheit. Wenn der Arbeitnehmer am Wochenende an einer Demonstration teilnimmt, geht das den Arbeitgeber erst einmal nichts an. Seine politischen Aktivitäten in seiner Freizeit seien seine Privatsache, erklärt Stefanie Rahbari, Arbeitsrechtlerin der Kanzlei Pflüger Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Wenn es bei den politischen Aktivitäten jedoch einen betrieblichen Bezug gebe, könnten sie trotzdem Grund für eine Abmahnung oder sogar Kündigung sein. „Das wäre der Fall, wenn jemand auf seiner Facebook-Seite seinen Arbeitgeber nennt oder ein Foto von sich in Dienstkleidung veröffentlicht und daneben politische Ansichten postet, die gegen die Wertvorstellungen des Arbeitgebers verstoßen“, sagt die Rechtsanwältin.
Welche Reaktionen des Arbeitgebers angemessen seien, hänge erstens davon ab, welche Position die Person im Unternehmen bekleidet. Von einer Pressesprecherin oder einem Chefarzt könne er mehr Loyalität erwarten als etwa von der Sekretärin oder dem Hausmeister, erklärt Rahbari. Zweitens sei auch wichtig, wie sich die Person nach der Tat verhalte: Ist sie bereit, den fraglichen Eintrag bei Facebook sofort wieder zu löschen? Entschuldigt sie sich für die Äußerung? Oder deutet diese grundsätzlich auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung hin? In dem Fall könnte das nicht nur den Arbeitgeber beschäftigen, sondern auch die Polizei.
Heikel wird es auch, wenn Mitarbeiter ihre politische Meinung am Arbeitsplatz vor sich her tragen, dort etwa mit Flugblättern für eine Vereinigung werben. Das braucht der Arbeitgeber nicht zu tolerieren, da es den Betriebsfrieden stört. Rahbari weiß vom Fall eines Angestellten, der eine 12 bis 15 Zentimeter große Plakette mit der Karikatur des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und der Aufschrift „Strauß – nein danke!“ am Arbeitsplatz trug. Der Fall landete schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht. Wegen solcher politischen Äußerungen „muss es nicht einmal zu einem offenen Streit kommen“, sagt die Juristin. „Es reicht, dass sich Kollegen damit ständig konfrontiert sehen und das in ihrem Arbeitsleben nicht möchten.“
Was sind eigentlich „Wertvorstellungen des Arbeitgebers“, und wann können sie mit denen des Arbeitnehmers kollidieren? Und was ist mit Ehrenamtlichen, die sich in einem Berufsverband engagieren? Der Berliner Autor Michael Wildenhain ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, der zu Verdi gehört. Dass Wildenhain 2012 der Linkspartei beitrat, hat bei der Dienstleistungsgewerkschaft kaum jemanden aufgeregt. Diskussionen gab es jedoch zuletzt über ein aktives Verdi-Mitglied, das sich zur AfD bekennt – obwohl die Gewerkschaft die Parteizugehörigkeit ihrer Mitglieder „grundsätzlich nicht abfragt“, wie sie schreibt. Weder die Linke noch die AfD sind in Deutschland verboten. Auf Nachfrage distanziert man sich bei Verdi nur von der AfD. „In den Fällen, in denen sich Verdi-Mitglieder aktiv und offen für die AfD oder andere rechtspopulistische Parteien und Organisationen engagieren, setzt Verdi auf die inhaltliche Auseinandersetzung, weil es notwendig ist, die freiheitliche, vielfältige, gleichberechtigte und offene demokratische Gesellschaft zu erhalten“, heißt es auf Anfrage. Die Positionen der AfD richteten sich gegen die Interessen von Arbeitnehmern, Erwerbslosen und Rentnern und seien zudem oftmals fremdenfeindlich.
Auch kirchliche Arbeitgeber wollen mit solchen Positionen nichts zu tun haben. „Unsere Mitarbeitenden sind dem christlichen Leitbild des Hauses verpflichtet“, sagt Thilo Daniel, theologischer Leiter der Evangelisch-Lutherischen Diakonissenanstalt Dresden, in politisch korrektem Deutsch. Zur Anstalt gehören medizinische Einrichtungen mit insgesamt 1400 Mitarbeitern in Sachsen, wo die Pegida-Bewegung entstand. „Wenn das politische Engagement eines Mitarbeitenden in einem deutlichen Widerspruch zu unserem Leitbild steht, haben wir uns durch den Arbeitsvertrag die Möglichkeit vorbehalten, da einzuschreiten“, sagt Daniel weiter. Dazu zählt er „extreme politische Haltungen und eine Ablehnung der gesellschaftlichen Grundordnung, zu der sich ja auch die Kirchen bekennen“. Laut Rechtsanwältin Stefanie Rahbari ist es nicht einmal nötig, „das Gebot der Rücksichtnahme und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber eigens im Arbeitsvertrag zu regeln“. Es ergebe sich ohnehin aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch.
Zu Entlassungen wegen Engagements bei Pegida sei es in seinem Haus bislang nicht gekommen, sagt Thilo Daniel. Man habe sich von Mitarbeitenden nur aus dienstlichen Gründen getrennt. Die Diakonissenanstalt Dresden distanziert sich nicht nur von politischem Extremismus, sondern fordert von Angestellten in leitenden Positionen auch, dass diese Mitglieder einer Kirche sind, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) angehört. Zur ACK zählen neben der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche etwa die Heilsarmee und die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland, nicht aber die Zeugen Jehovas, die für ihr forsches Missionieren bekannt sind.
Theologe Daniel berichtet, dass es schwierig sei, in Ostdeutschland Mitarbeiter mit christlichem Hintergrund zu finden. In Sachsen sind laut Statistischem Landesamt knapp 19 Prozent der Bevölkerung evangelisch und 3,7 Prozent katholisch – zusammen weniger als ein Viertel. Außerdem macht sich die demographische Entwicklung bemerkbar, aufgrund derer ohnehin immer weniger Krankenschwestern und Ärzte auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Besonders kompliziert, erzählt Daniel, sei es am Standort der Diakonissenanstalt in Niesky, einer Kleinstadt in der Lausitz: „Wir haben natürlich auch Mitarbeitende, die keiner christlichen Kirche angehören. Das ist eine Chance, für das christliche Menschenbild zu werben, das in unserem Haus gelebt wird.“
Auch die Kleidung zählt
Mitarbeiter können sich nicht nur durch Worte, Foren- oder Blogbeiträge politisch äußern. Wer T-Shirts mit auffälligen Drucken, Jacken mit Aufnähern oder kleine Anstecker mit Botschaften auf seiner Arbeitsstelle trägt, verletzt damit unter Umständen den „Grundsatz der Neutralität“ – gegenüber seinem Unternehmen und auch gegenüber Kunden und Subunternehmern, wenn man denn Außenkontakt hat. Seit einer bemerkenswerten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom März dieses Jahres dürfen Arbeitgebern ihren Mitarbeitern verbieten, religiöse und weltanschauliche Symbole am Arbeitsplatz zu tragen (F.A.Z. vom 15. März). Das Unternehmen muss aber alle Mitarbeiter gleich behandeln. Für die Geschäftsführung heißt das, sie muss eine allgemeine Regel für Kleidungsstücke aufstellen, die für alle religiösen und weltanschaulichen Bekundungen – und damit auch politischen Meinungen – gilt. Arbeitgeber in Deutschland müssen daher ihre bestehenden internen Anordnungen überprüfen und sich den Wortlaut künftiger Weisungen genau überlegen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist für deutsche Gerichte bindend; fühlt sich ein Arbeitnehmer wegen seiner Kleidung diskriminiert, sind die Erfolgsaussichten einer Diskriminierungsklage seit der Entscheidung aus Luxemburg deutlich gestiegen. Die Tragweite muss sich in der Praxis noch bewähren, sind sich auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwälte einig. Wann ein Mitarbeiter bewusst ein politisches Statement setzt, müsste von Maßstäben wie etwa seinem bisherigen Verhalten und Auftreten im Betrieb abhängig gemacht werden. Ist dem Arbeitnehmer überhaupt nicht bewusst, dass er eine Grenze überschreitet, etwa beim einmaligen Tragen eines Urlaubssouvenirs, ist seine Position besonders schützenswert. Ist der Mitarbeiter in einem Tendenzbetrieb tätig und widersetzt sich mit der Kleidung dessen offensichtlichen politischen Zielen, muss die Hürde deutlich niedriger gelegt werden.
mj.
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