Die Digitalisierung führt zu grundlegenden Veränderungen in der Wirtschaft. Damit steigt die Unsicherheit. Für regelverliebte Controller eine besondere Herausforderung.
Eine der wichtigsten Megaentwicklungen ist die Digitalisierung (Stichworte: Internet der Dinge, Big Data oder Predictive Analytics). Die zentrale Botschaft an die Unternehmen lautet: Nichts bleibt mehr so, wie es war; radikale Veränderungen stehen bevor oder haben uns schon erfasst. Weil sich aber Menschen grundsätzlich eher ungern verändern, sind Veränderungsprojekte in Unternehmen keine Selbstläufer; sie bedürfen häufig gesonderter Anstrengungen („Change Management“). Dennoch ist es Common Sense, dass Veränderungen unverzichtbar sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So gibt es aktuell kaum ein größeres Unternehmen, das nicht gerade irgendein Effizienzsteigerungsprogramm aufgelegt hat. Solche Projekte sind dem Wettbewerbsdruck geschuldet und gehören zum Tagesgeschäft des Managements. Sie stellen das grundsätzliche Geschäftsmodell selten in Frage, sondern machen es nur schlanker und effizienter. Mit anderen Worten: Die mit ihnen verbundenen Veränderungen sind inkrementeller Natur und weitgehend planbar.
Radikale Veränderungen sind dagegen durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet. Wann Google oder Apple den Automobilsektor durch selbst fahrende Fahrzeuge revolutionieren werden, ist ebenso Spekulation wie die Frage, wie schnell und in welchem Maße die tradierten Spieler vom Markt gedrängt werden. Etablierte Geschäftsmodelle können sich als stabiler erweisen als gedacht. Reisebüros etwa standen um die Jahrtausendwende auf der Liste aussterbender Anbieter – und es gibt sie heute noch in großer Zahl. Fragen dieser Art bestimmen aktuell die intensive Diskussion im Handel darüber, wie sich dort die Geschäftsmodelle entwickeln werden, ganz in Richtung digitaler Pure Player oder eher zu hybriden Formen, die alte Handelsformen integriert fortführen. Meinungen prallen aufeinander; verlässliche Leitplanken fehlen.
Für die Regelsteuerung eines Unternehmens ist dies eine ungewohnte Situation. Sie baut auf dem Going-Concern-Prinzip auf. Die jährliche Budgetierung ist eng in die Mittelfristplanung und diese wiederum in die strategische Planung eingebunden. Die Zukunft birgt zwar Risiken, aber die Unsicherheit ist beherrschbar. Controller sind die Hüter und Betreiber der Regelsteuerung. Sie beherrschen das komplexe System souverän, von Forecasts bis hin zu Abweichungsanalysen. Die gute Planbarkeit lässt eine enge Vernetzung der Teilplanungen zu. Das ist auch der Grund dafür, dass Manager manchmal von einer Planungsbürokratie sprechen.
Hohe Unsicherheit macht ein solches System obsolet. Komplexität und Dynamik vertragen sich nicht. Controller müssen umdenken. Hierauf sind sie allerdings schlecht vorbereitet. Mit hoher Unsicherheit hatten sie bisher nur in wenigen Branchen zu tun, zum Beispiel in der pharmazeutischen Industrie, wo nur wenige Entwicklungen neuer Wirkstoffe zu neuen Produkten führen, die meisten Projekte also als Fehlschläge enden. Hier hat eine Portfolio-Betrachtung die sonst übliche einzelprojektweise Betrachtung ersetzt. Ähnliches gilt bei Investoren im Feld von New Ventures, wo auf sehr wenige erfolgreiche Neugründungen sehr viele erfolglose Versuche kommen.
Die Digitalisierung stellt also erhebliche Herausforderungen an das Controlling. Die Aufgabe der Controller ist es im Kern, die bisherige Regelsteuerung, die vermutlich für den großen Teil des Geschäfts noch lange Zeit bestimmend und richtig sein wird, durch eine Steuerung risikoreicher und sehr unsicherer neuer Geschäfte beziehungsweise Geschäftsmodelle zu ergänzen; sie müssen zwei fundamental unterschiedliche Steuerungsphilosophien parallel betreiben. Eine solche Situation ist ihnen aber gänzlich fremd. In der Vergangenheit haben sie vielmehr großen Wert darauf gelegt, alle Unternehmenseinheiten in übereinstimmender Weise zu steuern; die Planungssysteme waren für statische und für dynamische Märkte zumeist identisch. Dass die einheitliche Form nicht wirklich passte, wurde in Kauf genommen, um Diskussionen über mögliche Ungleichbehandlungen zu vermeiden.
Handlungsbedarf besteht auf mindestens drei Feldern. Auf dem ersten Feld müssen Controller – in engem Schulterschluss mit den Strategen – analysieren, welchen Einfluss die Digitalisierung voraussichtlich auf das bestehende Geschäft des Unternehmens ausüben wird. Erforderlich hierzu ist ein kreativer Prozess, der damit beginnt, die Möglichkeit einer digitalen Disruption wirklich ernst zu nehmen, sie unvoreingenommen ins Kalkül zu ziehen. Nur wer das tut, wird die Analyse mit hinreichender Ernsthaftigkeit betreiben. Wenn man nicht so recht an die Möglichkeit glaubt, findet die Kreativität keinen entsprechenden Nährboden. Controller sollten dabei auch nicht im stillen Kämmerlein verbleiben, sondern viel Kontakt nach außen aufbauen, offene Ohren für Vorbilder und Analogien haben, Beispiele vor Ort anschauen – etwa in der Start-up-Szene in Berlin, Erfahrung von Unternehmen suchen, die den Weg schon ein Stück gegangen sind, wie der Stahlhändler Klöckner & Co, der ein eigenes Start-up gegründet hat, um sein bestehendes Geschäftsmodell selbst anzugreifen.
Das zweite Feld zu beackern ist weit schwerer, zumindest aber deutlich zeitintensiver. Hier gilt es, das Nebeneinander unterschiedlicher Steuerungsphilosophien konkret zum Funktionieren zu bringen. Controller müssen sich hierzu insbesondere damit auseinandersetzen, wie man Bereiche führt, die mit hoher Unsicherheit konfrontiert sind. Helfen mag hier der Blick in Richtung Forschung & Entwicklung. Controller haben in der Vergangenheit häufig einen mehr oder weniger großen Bogen um diesen Bereich gemacht. Erst in jüngerer Vergangenheit finden sich dort zunehmend vorzeigbare Controlling-Lösungen. Auf den Wechsel von einem Projekt- zu einem Portfoliodenken sind wir oben bereits kurz eingegangen. Eng damit verbunden ist das Herausbilden einer Trial-and-Error-Kultur. Misserfolge sind dann Lernereignisse auf dem Weg zu einer tragfähigen Lösung.
Controller müssen in einem solchen Kontext auch ihre dominante Ergebnisdenke einschränken beziehungsweise ergänzen: Wenn die Ergebnisse wegen hoher Unsicherheit nicht gut planbar sind, sollten Prozesse als Steuerungsobjekt stärker in den Vordergrund rücken. In der pharmazeutischen Industrie gibt es trotz der hohen Ergebnisunsicherheit Standardvorgehen zur Generierung neuer Wirkstoffe. Spätestens dann, wenn auch hinsichtlich der Prozesse eine hohe Unsicherheit besteht, wird schließlich die zentrale Bedeutung der Menschen deutlich, die das Feld vorantreiben. Themen wie die Zusammensetzung des Teams, Teamspirit und Teamkultur oder Kommunikationsverhalten sind hier erfolgskritisch, noch viel mehr als in Bereichen gut planbarer Geschäfte. Auch die Teamumgebung kann wichtig sein; nicht umsonst sehen die Räumlichkeiten, in denen Start-ups arbeiten, häufig sehr ähnlich aus.
Alles in allem geht es darum, die straffe Steuerung aus dem Regelgeschäft in diesem Umfeld durch eine offenere, losere Steuerung zu ersetzen, plakativ formuliert: es ist erforderlich, die Akteure mehr eigenverantwortlich „laufen“ zu lassen. Für Controller, die monatlich in Abweichungsgesprächen jeder kleinen Kostenüberschreitung auf die Schliche kommen wollen, bedeutet dies ein ganz erhebliches Umdenken. Schließlich müssen sie auch ihre grundsätzliche Perspektive verändern. Bei hoher Unsicherheit geht es weniger um Effizienz als vielmehr um Innovation und Nachhaltigkeit beziehungsweise Tragfähigkeit der gefundenen Lösungen.
Auf dem dritten und letzten Feld müssen sich die Controller schließlich fragen, was die Digitalisierung im eigenen Bereich, im Controlling selbst, verändern wird. Hier sind Entwicklungen relevant, die mit Schlagworten wie Predictive Analytics, Real-time-Verarbeitung der Informationen, Standardisierung und Automatisierung zu beschreiben sind. Ein aktuelles und zudem prägnantes Beispiel liefert das Forecasting (Vorhersage). In vielen Unternehmen bedeutet Forecasting einen aufwendigen Prozess mit einer Vielzahl von Beteiligten über die unterschiedlichen Organisationsebenen hinweg. Einige testen derzeit, ob man diesen Prozess nicht völlig automatisieren, durch die maschinelle Auswertung der vorhandenen Ist- und Plandaten ersetzen kann. Erste Tests liefern sehr verheißungsvolle Ergebnisse; die Prognosegüte scheint nicht hinter den menschlichen Experten (also der Manager und der Controller) zurückzuliegen – vielleicht, weil dem zugrundeliegenden mathematischen Modell politische Spiele gänzlich fremd sind.
Aus einer egoistischen Perspektive ist das für Controller ein schlechter Zwischenstand; bestätigt er sich, verlieren sie in Zukunft ein ganzes Arbeitsfeld. Digitalisierung könnte also für die Controllerzunft einerseits bedeuten, dass Aufgaben und Kapazitäten wegbrechen – warum sollte es im Controlling auch anders sein als auf den Absatzmärkten? Andererseits entstehen durch Big Data und Predictive Analytics potentielle neue Betätigungsfelder für Controller. Hierzu müssen sie sich aber konsequent und schnell auf die neuen Möglichkeiten einlassen; konkurrieren sie doch auf diesem Feld eventuell mit einem neuen internen Wettbewerber: dem Data Scientist. Alles in allem zeichnen sich neue, anspruchsvolle und spannende Aufgaben ab.
Schließlich macht die Digitalisierung deutlich, dass sich Controller darauf einrichten müssen, in Zukunft zahlenmäßig zu schrumpfen. Auf der einen Seite wird durch Standardisierung und Automatisierung ein Teil der repetitiven Controllingaufgaben an die IT-Systeme abgegeben. Auf der anderen Seite können Managementprozesse in Bereichen hoher Unsicherheit nicht so weitgehend bürokratisiert werden wie gut planbares Regelgeschäft; die Controllingfunktionen werden deshalb mehr von den beteiligten Menschen selbst ausgeführt werden müssen, weniger von darauf spezialisierten Controllern. Am Ende sollte Controller das aber nicht stören: Die selbst proklamierte Rolle des Businesspartners richtet ihre Karriere ohnehin eher auf das Management, weniger auf die eines Fachspezialisten aus. Es könnte gut sein, dass die Digitalisierung diese Entwicklung weiter stärkt.
Utz Schäffer und Jürgen Weber sind Direktoren des Instituts für Management und Controlling der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar.
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