Karriere: Ohne Schein kein Sein

Wohldosiertes Blenden hilft der Karriere. Frauen sollten sich bei Männern ruhig ein bisschen was abgucken. Wer zu laut tönt, erlebt jedoch ein Debakel.

Von Birgitta vom Lehn

Es sind die vollen Ähren, die den Kopf neigen. Nur die leeren tragen ihn oben.“ Mit diesem japanischen Sprichwort beschließt Roman Maria Koidl sein neues Buch „Blender“, Untertitel: „Warum immer die Falschen Karriere machen“. Der Bestsellerautor, Schokoladenunternehmer („Most“) und Kunsthallenbetreiber beleuchtet darin das Phänomen der „Schlipswichser, Bildungsblender, Intriganten, Durchstecher und Luftpumpen“. Ausschließlich Männern verleiht der Autor dabei diese wenig schmeichelhaften Etiketten: solchen, die beruflich und privat mehr Aufmerksamkeit und Erfolg einstreichen, als anderen lieb ist und sie aufgrund ihrer tatsächlichen Leistung verdient hätten.

Lügenbaron Münchhausen und Hochstapler Felix Krull lassen grüßen. Titelsüchte und Eitelkeiten von Politikern und Firmenbossen sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Auch Leute wie Gert Postel, der sich viele Jahre als Arzt ausgab, ohne jemals Medizin studiert zu haben, und Wolfgang Beltracchi, der 35 Jahre lang Bilder fälschte, Millionen damit verdiente und den Kunstmarkt foppte, zählen zu dieser Kategorie. Blender können sich eben blendend verkaufen, deshalb sind sie schwer zu fassen. Aber selbst wenn ihr Schaffen auffliegt, werden sie häufig noch bewundert. Postel wurde von manchen Medien noch als „Artist“ bezeichnet, und Beltracchi durfte lange Interviews geben, obwohl die kriminelle Energie der beiden Hochstapler längst aktenkundig geworden war.

„Die Nachgiebigkeit gegenüber Blendern liegt daran, dass alle betrogen werden wollen: das Publikum, die Geldanleger, die Mitarbeiter, die Personalchefs“, sagt der Wirtschaftspsychologe Thomas Jendrosch von der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Heide. „In jedem von uns schlummert die Sehnsucht nach etwas, was man selbst nicht hat und ist. Man lästert zwar, bewundert den Aufschneider aber trotzdem.“ Experten sprechen vom „Halo-Effekt“, den 1907 der Sozialpsychologe Frederic Wells als Erster beobachtete: Man lässt sich von einem alles dominierenden Aspekt einer Persönlichkeit blenden. Das englische Wort „halo“ geht auf den griechischen Begriff „halos“ zurück und steht für „Heiligenschein“.

Man könne das Blenden zwar verteufeln, sagt Jendrosch. Fakt sei aber, dass Menschen die Verbreitung positiver Stimmung mehr mögen als warnende Stimmen. Mäkler und Kritiker hätten es deshalb schwerer. Der Grat zwischen Vision und Halluzination sei allerdings schmal. Lande der Blender vor Gericht, sei natürlich eine Grenze überschritten. „Aktenkundig werden nur Männer“, sagt Jendrosch. Kein Wunder, denn Blenden ist eine Männerdomäne. Das liege auch daran, so der Psychologe, „dass Frauen eine größere Flexibilität hinsichtlich ihrer Lebensentwürfe haben“. Frauen hätten die Chance, sich per Heirat auf eine höhere gesellschaftliche Stufe zu hieven. Männer könnten dies in der Regel nicht, die Professorin heirate selten einen Handwerker oder Hausmann. „Männer müssen in der Männerhierarchie mithalten, sie haben keine andere Wahl. Deshalb greifen sie eher zu Mitteln, die Leistung und Potential vortäuschen“, sagt Jendrosch. Von Blendern könnten sich Frauen allerdings durchaus etwas abgucken, ohne gleich alle weiblichen Stärken preiszugeben.

Wenn Männer erobern und erforschen, dann tun sie das spielerisch, und in diesem Spiel liege „eine gewaltige schöpferische Kraft“. Sie zu verstehen und möglicherweise sogar zu imitieren, könne „ein mutiger Schritt für den Karriereweg von Frauen sein“, findet auch Autor Koidl. Nur die Schwachen würden sich an Statistiken, Vorschriften und Pläne klammern: „Die Starken spielen mit den vorgegebenen Themen auch abseits der eingefahrenen Pfade so lange herum, bis sie mit ,Trial and Error‘ zum Erfolg gelangen.“ Das Wesen echten Unternehmertums liege gerade in einem solchen Spannungsfeld.

Ein wichtiges Element auf der männlich dominierten Spielwiese sei die passende Stimme. Ein sonorer Bass könne so manchen inhaltlichen Schnitzer übertönen. Koidl rät Frauen deshalb zum professionellen Stimmtraining. Naturbedingt hätten sie es schwer mit der Stimmgewalt, die Aufstiegschancen hervorbringt. Schon der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian wies 1971 in einer Studie nach, dass nur 7 Prozent unserer Wirkung auf andere Menschen vom Inhalt des Gesagten abhängt: 38 Prozent gehen auf das Konto der Stimme und 55 Prozent hängen von der Körpersprache ab.

Der Nutzen positiver Selbstdarstellung hat sich zwar herumgesprochen, birgt aber auch eine Kehrseite. So beobachtet Psychologe Jendrosch einen „übertriebenen Trend zur Selbstdarstellung“ schon bei Schülern und Studenten mit der Folge, dass die Inhalte dünner werden und sich eine Casting-Kultur ausbreite. „Deutschland sucht den Superstar: Wir haben dieses Schaulaufen inzwischen schon in jeder Berufungsverhandlung zum Professor. Auch Soft-Skill-Kurse für Studenten gehen in diese Richtung.“

 

Der Soziologe Michael Hartmann von der TU Darmstadt gibt zwar zu, dass Äußerlichkeiten wie eine attraktive Erscheinung förderlich für die Karriere sein können, teilt aber dennoch die These vom Siegeszug der Blender in der Berufswelt nicht: Das Grundproblem seien „nicht die Blender, sondern gewachsene Maßstäbe“. Bei Stellenbesetzungen und Berufungen scheue man generell risikoreiche Alternativen. Betroffen seien als exotische Wesen auf den Führungsetagen aber nicht nur Frauen, sondern auch andere Gruppen, die nicht der dortigen Norm entsprechen, etwa kleinere oder homosexuelle Männer. „Die meisten Top-Manager in der Wirtschaft können aber wirklich was, sie sind keine Blender. Natürlich müssen sie ihre Ansprüche auch anmelden und verkaufen.“

Männer lernen das Sich-Verkaufen schon als Jungen in der Fußballmannschaft, glaubt der Soziologe. Obschon ein Teamsport, so gebe es im Fußball doch die Möglichkeit, Führungspositionen zu besetzen. Um hier Erfolg zu haben, müsse man zum einen Leistung zeigen und sich zum zweiten selbst anpreisen. Anders beim Volleyball, den Frauen bevorzugen: „Dort gibt es eine klare Abfolge der Positionen, man kann sich als Einzelner nicht hervortun. Deshalb ist Volleyball wohl auch für Jungs nicht so interessant.“

Psychologen bezeichnen positive Selbstdarstellung als „Impression Management“. Während Männern vor allem Eigenwerbung zugeschrieben wird, werden Frauen einschmeichelnde Taktiken nachgesagt. Gerhard Blickle, Wirtschaftspsychologe an der Universität Bonn, spricht lieber von „erlernbaren und trainierbaren politischen Fertigkeiten“. Dazu zählt er Kontaktfähigkeit, soziale Gewandtheit, Darstellung von Ehrlichkeit und die Bildung und Nutzung von sozialen Netzwerken. „Leute mit guten politischen Fertigkeiten versuchen Situationen immer als Win-Win-Situationen zu gestalten und niemanden über den Tisch zu ziehen.“ Blender seien in Verkaufs- und Bewerbungsgesprächen zwar sehr erfolgreich. Allerdings wende sich ihr Blatt auch schnell wieder: Sie können das positive Bild nicht aufrechthalten. Trotzdem, meint Blickle, seien Blender meist harmlos. Schwieriger seien Narzissten, „denn sie kommen sympathisch, geistreich, witzig rüber“. Man traue ihnen einiges zu. Narzissten seien allerdings „eine echte Plage für die Mitmenschen“, weil sie eine Vorzugsbehandlung beanspruchen. Zudem hätten narzisstische Top-Manager „gute Chancen, kriminell zu werden“.

Unternehmen könnten sich vor Blendern und Narzissten am besten schützen durch eine psychologische Personaldiagnostik, die über ein Bewerbungsinterview hinausreicht. Details will Blickle nicht verraten. Für den Bewerber sei „der Spagat zwischen Mauerblümchen und Selbstpräsentation“ mitunter schwierig. Auf Bescheidenheit zu achten sei aber klug. „Wer sich ständig selbst anpreist, wirkt zwar kompetent, kommt aber nicht sympathisch rüber.“ Sympathie sei jedoch eine wichtige Vertrauensbasis. „Blendern und Narzissten vertraut langfristig niemand. Wenn sie Glück haben, können sie aufsteigen und ein höheres Einkommen erzielen; oft stürzen sie aber auch wieder ab.“

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