Jahrzehntelang wurden in der riesigen Halle Güterzüge be- und entladen. Die in den zwanziger Jahren gebaute „Halle Freyssinet“ nahe dem Pariser Bahnhof Austerlitz war einst ein Wahrzeichen für logistische Effizienz und architektonische Eleganz. Doch heute werden hier nicht mehr Güter umgeschlagen, sondern Ideen für die Gründung von Unternehmen. Die „Station F“ hat am Donnerstagabend feierlich ihre Tore geöffnet. Nach Angaben der Organisatoren sind rund 1000 Start-up-Unternehmen darin untergebracht. Damit sei die Halle der größte Start-up-Campus der Welt. Selbstverständlich nahm der französische Präsident Emmanuel Macron die Einweihung selbst vor. Die Start-up-Unternehmen sollen das Symbol für den Aufbruch Frankreichs sein.
Hinter dem Projekt steht der französische Telekom-Unternehmer Xavier Niel, der sich um die Förderung von Gründern und die Ausbildung junger Leute verdient macht. Er ist mit dem Aufbau des Telekomkonzerns Free zum Milliardär geworden und wirkt jetzt weitgehend als Mäzen. So hat er in Paris auch die Schule „42“ gegründet, an der mit einem neuen pädagogischen Konzept ohne Lehrer vor allem Computer-Programmierer ausgebildet werden. Zehn Minuten Fußmarsch von der Station F entfernt will Niel demnächst auch drei Wohnblöcke einweihen, in denen die Unternehmer unweit ihres Arbeitsplatzes leben können.
Die Station F ist auf 34 000 Quadratmetern der größte und neueste Campus, mit dem sich Paris in der internationalen Gründerszene ganz nach vorne schieben will. Rund 50 sogenannte Inkubatoren gibt es in der Hauptstadt, berichtet der stellvertretende Bürgermeister Jean-Louis Missika. In ganz Frankreich sind es noch viele mehr. „Ist Frankreich der Weltmeister im Schaffen von Inkubatoren?“, fragte schon im vergangenen Jahr Etienne Krieger von der Managementschule HEC und erinnerte in Bezug auf den merkantilistischen Minister Colbert aus der Zeit von Ludwig XIV. an die „colbertistische Tradition“ Frankreichs. Die staatliche Förderbank BPI finanziert heute 3800 Start-up-Unternehmen, mehr als das Doppelte als vor drei Jahren. Es zähle der unumstrittene Erfolg, sagt Vizebürgermeister Missika.
„Wir locken auch immer mehr Unternehmen aus dem Ausland an.“ In Paris profitieren die Gründerunternehmen meist von billigem Büroraum sowie von Beratung etwa für die Ausarbeitung eines Geschäftsplanes, Kontaktanbahnung zu Investoren, Partnern oder Wirtschaftsprüfern. Die Start-up-Zentren tragen Namen wie Cargo, 104, Tremplin, Agoranov oder La Ruche und sind teilweise auf einzelne Branchen spezialisiert. Manche nennen sich auch „Accélérateur“ (Beschleuniger oder Gaspedal), weil sie eine intensivere Betreuung bieten. Auch privatwirtschaftliche Modelle wie die Anbieter The Family oder Numa stehen bereit, um Start-ups zu begleiten, im Gegenzug aber eine Beteiligung am Kapital zu verlangen.
Eine Reihe von Förderprogrammen soll das Gründerfieber noch erhitzen. Die Stadt Paris finanziert etwa vierwöchige Aufenthalte deutscher und anderer ausländischer Start-ups in Paris. Umgekehrt bringen die Stadt Berlin und die IHK französische Gründerunternehmen in die deutsche Hauptstadt. So hat der Anbieter von Energiesystemen Aelectra aus Berlin in den vergangenen vier Wochen Paris kennengelernt. Matthias Zeller, Leiter der Bereiche Strategie und Auslandsvermarktung, hörte von externen Referenten, wie man in Frankreich Investoren anspricht, mit Medien umgeht, Personal und Kunden findet. Er ist von der Nützlichkeit solcher Initiativen überzeugt, zumal sie außer Reise- und Übernachtungskosten umsonst war. Als Anbieter von strombetriebenen Heizfolien ist Frankreich für Aelectra ein interessanter Markt, weil die Franzosen viele Stromheizungen benutzen. Das Unternehmen will mit seinen heute zehn Mitarbeitern jetzt gezielt auf dem französischen Markt expandieren. „Frankreich ist ein Hightech-Land. Hier herrscht heute eine richtige Aufbruchstimmung. Die französischen Start-ups haben viel Potential“, sagt Zeller.
In der Station F finden sich auch etablierte Unternehmen wie Microsoft, Facebook, Vente-Privée oder die Managementschule HEC. Sie wollen die Gründerunternehmen ebenfalls päppeln und sich gleichzeitig von ihnen inspirieren lassen. Zudem gibt es ein eigenes Förderprogramm für Leute aus den sozial angespannten Vierteln. Selbst der ehemalige Präsident François Hollande hat dort für seine frisch gegründete Stiftung ein Büro eröffnet, das „die soziale und solidarische Ökonomie“ vorantreiben soll.
Leiterin der Station F ist die in Palo Alto geborene Amerikanerin Roxanne Varza. Die 32 Jahre alte Managerin ist vom Standort Frankreich überzeugt. „Im Silicon Valley wird es eng und teuer“, sagt sie. Donald Trump sei zudem nicht die beste Standort-Werbung für Amerika, und obendrein vertreibe der Brexit die Gründer aus London. Die Mietkosten in der Station F sind attraktiv: 195 Euro im Monat für einen Arbeitsplatz. Der Initiator Niel soll 250 Millionen Euro in seinen Campus investiert haben. „Es ist vielleicht eine Investition, die nicht ganz so idiotisch ist, wie das Geld meinen Kindern zu geben. Denn diese stellen damit wahrscheinlich nur Dummheiten an“, sagte Niel.
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Von Christian Schubert