Er war stets bemüht

Das Arbeitszeugnis verrät, was wir im Beruf geleistet haben – und was nicht. Es wird verfasst in einem geheimen Sprachcode. Wer ihn entschlüsselt, erlebt manche Überraschung.

Von Sven Astheimer

Das Arbeitszeugnis kann man mit Fug und Recht als Institution in der deutschen Arbeitswelt bezeichnen. Schon im späten Mittelalter sollen Lehnsherren die Leistungen ihrer Knechte urkundlich beglaubigt haben. Im preußischen Verwaltungsapparat zur Blüte getrieben durch den Rechtsanspruch im Bürgerlichen Gesetzbuch, beschäftigt das Arbeitszeugnis seitdem auch die Gerichte. Unzählige Urteile wurden gesprochen über Form und Inhalt des Papiers. Und doch liegt der besondere Reiz im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Zeilen. In den Aussagen, die von den Verfassern nicht gemacht und doch von vielen Lesern mitgedacht werden. Es geht um die Geheimsprache in den Arbeitszeugnissen.

Die hat sich im Laufe der Jahre entwickelt als Antwort auf einen zentralen Grundkonflikt bei allen Arbeitsbeurteilungen: Denn das sogenannte Wahrheitsgebot und die Wohlwollenspflicht bringen den Arbeitgeber in eine missliche Lage. Wahr ist ein Zeugnis nach Ansicht von Fachleuten, wenn der Zeugnisaussteller den Mitarbeiter kennt, ihn beurteilt und seine Aussagen dem Mitarbeiter und Dritten verständlich sind. Wohlwollend fällt es wiederum aus, wenn das berufliche Fortkommen nicht verhindert wird. Damit verbietet sich praktisch jede Note, die schlechter ist als 3.

Wie aber beurteilt man dann einen Mitarbeiter, mit dessen Leistung man nicht unbedingt zufrieden war? Dessen Verhalten vielleicht sogar zu einem Kündigungsgrund geführt hat? Der Ausweg liegt auf der Hand: Man führt Formulierungen ein, die nur scheinbar wohlwollend und positiv klingen, beim professionellen Leser allerdings die Alarmglocken läuten lassen. Das wohl bekannteste Beispiel aus diesem Repertoire lautet: „Er/Sie war stets bemüht.“ Implizit mitgedacht wird die Ergänzung: „Außer den Bemühungen kam nicht mehr viel.“

Tanja Merkens hat in ihrer Karriere schon Hunderte Arbeitszeugnisse begutachtet und ausgewertet. Die Expertin von arbeitszeugnis-bewerten.de aus Hamburg legt dabei ihr besonderes Augenmerk auf die „qualifizierte Beurteilung“, den aus ihrer Sicht wichtigsten Teil beim Aufbau eines Zeugnisses (siehe weiteren Text auf dieser Seite). Auch die Gründe, die letztlich für das Beendigen des Arbeitsverhältnisses ausschlaggebend waren, spielen aus Merkens‘ Sicht eine entscheidende Rolle. Sie kennt die Fallstricke und geheimen Signale der Arbeitgeber. Merkens nennt Beispiele: Die Formulierung „wird das Arbeitsverhältnis in beidseitigem Einvernehmen beendet“ wirkt für Außenstehende neutral, weist den Personalmanager aber auf Unstimmigkeiten hin. Interessanterweise wird dieser Begriff häufig in Pressemitteilungen von Unternehmen verwendet, wenn der Abschied des bisherigen Chefs verkündet wird. „Der Kündigungsgrund ,auf eigenen Wunsch‘ gilt hingegen als Arbeitnehmerinitiative und steht für einen positiven beruflichen Veränderungswunsch“, erklärt Merkens.

Unter bestimmten Voraussetzungen gelte auch das Erwähnen einer betriebsbedingten Kündigung als annehmbar. Formulierungen wie „kann leider aufgrund der betrieblichen Gesamtsituation nicht übernommen werden“ oder „aus betrieblichen Gründen konnte die Befristung leider nicht verlängert werden“ weisen auf ein strukturelles und nicht persönliches Problem hin. Wünschenswert wäre der zusätzliche Hinweis „unser Unternehmen würde Frau/Herrn XY bei verändertem Personalbedarf jederzeit wieder beschäftigen“, um einen unkritischen Grund trotz Verlust des Arbeitsplatzes anzuführen.

Insgesamt genießt das Zeugnis in Deutschland noch eine hohe Relevanz für die Karriere, sagt Tanja Merkens. „Zu einer Bewerbung gehören ganz selbstverständlich immer auch die Arbeitszeugnisse – fehlen Zeugnisse über bestimmte Zeiträume oder Beschäftigungsverhältnisse, müssen gute Erklärungen her, ansonsten wird Misstrauen geweckt.“ Dies wiege mitunter sogar schwerer als beispielsweise eine mittelmäßige Beurteilung. In anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten seien weniger formalisierte Empfehlungsschreiben üblich, auch die schnelle, telefonische Erkundigung über den Bewerber beim ehemaligen Chef sei keine Seltenheit.

Deutschland bleibe sich dagegen auch in Bezug auf Arbeitszeugnisse treu, denn lückenlose Dokumentation ist eine unausgesprochene Arbeitnehmerpflicht, wenn der Wechsel gelingen soll. Wie „wahr“ das Ganze letztlich ist, sei dabei oft zweitrangig. „Denn eine vermutlich hohe Zahl der Zeugnisse wird von den Betroffenen selbst geschrieben“, weiß Merkens. Manchmal erwarte das der Vorgesetzte, manchmal gehe der Mitarbeiter mit einem Entwurf in Vorleistung. Doch gerade wer sich sein Zeugnis selbst formuliert, sollte die Stolpersteine kennen.

 

In sechs Schritten zum optimalen Arbeitszeugnis

Wer wissen will, ob sein Zeugnis den Standardanforderungen entspricht, sollte auf diese Bausteine achten (in längerer Form nachzulesen auf arbeitszeugnis-bewerten.de).

Einleitung: Hier werden formale Angaben gemacht wie Name und Geburtsdatum und gegebenenfalls der Geburtsort, die genaue Tätigkeit/Berufsbezeichnung sowie die Beschäftigungsdauer. Allgemeine Informationen über den Arbeitgeber, die Mitarbeiterzahl und möglicherweise die Abteilung und Produkte sollen einen Einblick über das Arbeitsumfeld und die Position geben.

Tätigkeitsbeschreibung: Die Darstellung des Aufgabenfeldes und der tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten im Rahmen einer bestimmten Position erfolgt der Wichtigkeit nach absteigend. Hier können neben regelmäßig ausgeübten Tätigkeiten auch Sonderprojekte oder Karrierestationen dargestellt werden. Die Tätigkeitsbeschreibung sollte sachlich sein und noch nicht bewerten.

Leistungsbeurteilung: Das Herzstück, da hier Auskunft über Fachwissen, Berufserfahrung, Motivation, Arbeitsbefähigung, Weiterbildungsverhalten, Arbeitsweise und Arbeitsergebnis gegeben wird. Insbesondere die Vollständigkeit der Angaben und die Formulierung der Aussagen sind wichtig, da das Weglassen einzelner Aspekte negativ auffällt. Dann ist von „beredtem Schweigen“ die Rede, da eine fehlende Aussage gleichzusetzen ist mit mangelhafter Leistung, die damit bewusst oder unwissentlich zum Ausdruck gebracht wird. Üblicherweise wird die Beurteilung mit der Gesamtzufriedenheitsformel bilanziert. Diese stellt eine zusammengefasste Beurteilung dar.

Persönliches Verhalten: Die soziale Kompetenz des Mitarbeiters umfasst soziale Fähigkeiten wie Kommunikation mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden. Es wird beurteilt, ob und wie ein Arbeitnehmer zum Geschäfts- und Betriebsklima beiträgt. Neben üblichen Standardformulierungen sind auch sehr individuell verfasste Aussagen möglich, die dem Arbeitszeugnis eine persönliche Note verleihen können.

Schlussteil: Formal abgeschlossen wird das Dokument mit Datumsangabe und Unterschriften. Wichtig ist zuvor die „Beendigungsinitiative“. Hier wird der Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses genannt, was durchaus brisant sein kann. Neutral wirkende Formulierungen wie „wird das Arbeitsverhältnis in beidseitigem Einvernehmen beendet“ weisen auf Unstimmigkeiten hin, wenn nicht sogar auf eine vom Arbeitgeber veranlasste Kündigung.

Optischer Gesamteindruck: Wie bei Bewerbungsdokumenten zählt natürlich auch der optische Gesamteindruck eines Arbeitszeugnisses. Das Verwenden von Geschäftspapier, einer durchgängigen Formatierung, einer fehlerfreien Rechtschreibung und Grammatik sind eigentlich selbstverständlich, wenn auch nicht immer gegeben.

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