Von Beruf unzufrieden

Vor toxischen Kollegen sei gewarnt: Sie können ganze Abteilungen vergiften. Wie man mit solchen Dauernörglern umgeht und ihnen den Wind aus den Segeln nimmt.

Von Ursula Kals

Der Kontakt zu diesem Kollegen ist lange her. Aber der Mann bleibt unvergessen. Mit seinem nie versiegenden Nörgeln hat er sich tief in die DNA der Bürogemeinschaft gebrannt. Der Montagmorgen-Blues, der spätestens beim ersten Espresso und ritueller Tatort-Nachbesprechung verklungen war, hielt bei diesem schwierigen Menschen zuverlässig bis Freitagnachmittag, wenn er sich in den Wochenendstau verabschiedete. Denn das Leben ist schwer und ungerecht, und zu motzen gibt es schließlich immer etwas.

Nörgler nerven. Das Schlimmste aber: Die Energiefresser stecken andere mit ihrer schlechten Laune an und ziehen sie mit runter in ihr Tal der Tränen. Die Batterie der Gutgelaunten flackert bedenklich, während der Akku der Stimmungskiller wieder aufgeladen ist. In der Konferenz wird ein unkonventioneller Vorschlag gemacht, während die anderen darüber noch nachdenken, trumpft der Hauptbedenkenträger schon mit Totschlagargumenten und Einwänden auf. Der Kunde hat einen Auftrag storniert: Der Nörgler startet seine Habe-ich-euch-nicht-immer-vor-dem-gewarnt-Platte. Die These sei gewagt: Von Nörglern stammen wenige oder keine Erfindungen. Wer sich so aufs Negative gepolt hat, stets nur die Nachteile einer Idee sieht, der verschließt sich neuen Möglichkeiten.

Nörgler trüben die Stimmung und kontaminieren ganze Bürogemeinschaften. Der Softwareanbieter Cornerstone hat eine Studie vorgelegt über „toxische Mitarbeiter“, bei der speziell akutes Fehlverhalten (toxic behavior) im Fokus stand, also Delikte wie Gewalt am Arbeitsplatz, Sucht und Betrug. Die Leistungsfähigkeit anderer Mitarbeiter wurde dadurch langfristig negativ beeinflusst. Aber auch weniger drastisches Gebaren wie permanentes Nörgeln wirken sich schlecht auf das Arbeitsverhalten aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein guter Mitarbeiter kündigt, ist um die Hälfte höher, sobald ein schwieriger Kollege im Team ist. Im Tagesgeschäft wird die Leistung anderer nur marginal gestört, entscheidender sind die Langzeitauswirkungen, weil Stress und Burnout-Risiko steigen. Fehlverhalten am Arbeitsplatz ist ansteckend. Vulgo: Die miese Laune kostet richtig Geld.

Abgebrühte, erfahrene Mitarbeiter, die schon exzentrische Kollegentypen erlebt und durchlitten haben, können Nörgler meist besser ausblenden. Berufseinsteiger zieht es herunter, wenn sie mit hoch infektiösen Schwarzsehern konfrontiert werden. Sie wissen ja noch gar nicht, was „normal“ und Standard in der Berufswelt ist. Die Gefahr besteht, dass aus jungen Enthusiasten frustrierte Mitarbeiter werden.

Ein schleichender, sich diskret vollziehender Prozess, den eine Frankfurter Historikerin am eigenen Leib erfahren hat. Die Frau hatte ihren ersten Tag bei einem Mittelständler. Ihr Vorgesetzter wies ihr in einem Zweierbüro einen freien Tisch gegenüber Kollegin N. zu. In den folgenden Tagen wunderte sich die Berufseinsteigerin, dass keiner der anderen Kollegen zum Kennenlern-Small-Talk vorbeischaute. Was weder sie noch ihr Chef wusste: Die anderen mieden das Büro, weil N. als schwierig galt. Sie misstraute allem und jedem und infiltrierte vom ersten Tag an die neue Kollegin mit Warnungen: Die Konferenz sei ein Haifischbecken, Abteilungsleiter A. sei brandgefährlich, strenggenommen sei S. noch schlimmer. Die Neue erschrak: Wo bin ich da nur gelandet? Mit Schaudern erinnert sich die heute 52-Jährige an ihren Einstieg. Erst allmählich dämmerte ihr, dass Frau N. eine Berufspessimistin war, sie isolierte, kollegiale Kontaktaufnahmen konterkarierte. „Ich habe dann auf Versetzung ins Großraumbüro bestanden. Da ging es zwar oft hoch her wie auf dem Hühnerhof, aber die Stimmung war gut.“ Um nörglerische Naturen schlug die Geisteswissenschaftlerin fortan einen Bogen. „Heute habe ich selbst Personalverantwortung und achte darauf, Pessimisten in ihre Schranken zu weisen und Nörglern sofort den Nährboden zu entziehen. Ich mache kompromisslose Ansagen, fordere sie auf, ihre Bedenken schriftlich zu formulieren, oder biete an, ihren Namen vom gemeinsamen Papier zu streichen, das erledigt sich meist von allein.“

Woher rührt es, das Leben schwer zu nehmen und nur zu sehen, was schieflaufen kann und schiefgelaufen ist? Laszlo Pota hat eine psychotherapeutische Praxis in Lübeck und eine Antwort: „Es geht um Anerkennung und Zuwendung. Solche Menschen haben ein geringes Selbstbewusstsein, sind unzufrieden, enttäuscht und haben Angst, weil sie nicht das Gefühl haben, irgendwo aufgefangen zu werden. Sie wechseln in die Rolle eines Besserwissers und Miesmachers.“ Es gehe um Verunsicherung, um die eigene und die der anderen. Pota erkennt darin einen Suchtmechanismus. „Ein Süchtiger versucht, seine Mitmenschen nach unten zu ziehen. Dann geht es ihm besser in der Hoffnung darauf, dass die anderen leiden. Das ist eine innere Befriedigung.“ Der psychologische Psychotherapeut unterscheidet allerdings „zwischen Besserwissern, die alles entwerten, und denjenigen, die nur punktuell etwas miesmachen“. Ganz gleich, ob der Nörgler infolge von Konflikten, Wut und Ärger unzufrieden ist, „er will Kontakt und Aufmerksamkeit kriegen“. Das eint ihn aber mit vielen? „Ja, wir leben in einer narzisstischen Egomanengesellschaft.“ Nach Potas Beobachtung steigt die Zahl der Unzufriedenen. Der Diplompsychologe macht das große Fass auf, verweist auf die Leistungsgesellschaft und mangelnde Kontinuität in der Arbeitswelt, vorschnelle private Beziehungsabbrüche und eine Haltung des „Haben-Wollens“. „Wir sind nicht mehr empathisch.“ Er lacht selbstironisch: „Das hört sich jetzt nörglerisch und besserwisserisch an.“ Nachdenklich fährt Laszlo Pota fort: „Eigentlich sind diese Menschen harmoniebedürftig, haben es aber nie verstanden, Harmonie zu leben, und denken, Angriff ist die beste Verteidigung.“

Wie begegnet man Nörglern, wie entwaffnet man sie? Pota macht Vorschläge: Überzeichnen hilft, also noch eines draufzusetzen: Du hast recht, es ist alles schlimm! Dann habe der Nörgler keine Bühne mehr, nichts mehr, was er niederkämpfen könne. Wem diese Ironie nicht liegt, der bezieht klar Position und sendet ein Stoppzeichen: Du gehst mir auf den Geist. Das trifft mich. Nicht alles ist schlecht. „Dann kommen Sie in eine Diskussion.“ Allerdings bekomme der Nörgler die erhoffte Aufmerksamkeit. Noch eine Methode, ihm seine Wirkung vorzuhalten: Du kommst damit schlecht an, wenn du ständig Kollegen kritisierst und nichts Konstruktives vorschlägst. Warum bist du dann noch hier? Diese freche Rückfrage hat keine Erfolgsgarantie. „Das funktioniert nicht mit einem, der nur Elend ausbreiten will. Dann wird der Nörgler zum Choleriker und fängt an zu pöbeln.“

Auch die Nachteile und Schattenseiten der Dinge zu sehen schützt natürlich vor Fehlentscheidungen. Das Glas ist eben nicht immer halb voll. Manchmal ist es halb leer und da gibt es nichts zu beschönigen. Die eisernen Vertreter des positiven, Denkens, die in jedem Scheitern eine neue Chance besingen, sind nicht von ungefähr in die Kritik geraten.

Klaus Seifrieds Verständnis für unzufriedene Mitarbeiter hält sich in Grenzen, die Kultur des Meckerns und der Unzufriedenheit ist nicht die seine. Zwar kennt der Berliner Schulpsychologe nachvollziebare Gründe, zum Beispiel die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen der Lehrer. Aber Nörgelei könne nicht die Antwort sein. Seifried setzt auf regelmäßige Mitarbeitergespräche und darauf, „ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter zu haben und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Gerade die Nörgelnden brauchen Wertschätzung.“ Was kann ein Chef tun, um die Atmosphäre zu entlasten, um Bürokratie einzudämmen, welche Unterstützung brauchen Mitarbeiter? – Diese Fragen der Personalführung sind Seifried wichtig. Miteinander im Gespräch zu bleiben sei entscheidend. „Ich empfehle, Konferenzen grundsätzlich mit Erfolgen zu beginnen, mit dem Blick auf das Erreichte. So motiviert man und nimmt Nörglern den Wind aus den Segeln. In der Regel ist es leider umgekehrt. Da wird sofort kritisiert, oder es geht um langweilige Mitteilungen, die man genauso gut per Mail verschicken kann.“ Besprechungen klar und straff zu führen verhindere, Nörglern zu viel Redezeit zu überlassen.

Beide Psychologen betonen, die geballte Nörglerei auf keinen Fall persönlich zu nehmen. Die negative Haltung sei schließlich das Problem des Nörglers. Notfalls helfe ein externer Coach, sich über das dauernde Gemecker nicht unnötig aufzuregen. Klaus Seifried tappt nicht in diese Falle: „Wenn ich mich ärgere, die Nörgelei auf mich selbst beziehe, ist das genau, was diese Leute erreichen wollen.“

Den gängigen Ratschlag, Nörgler zu ignorieren, findet Psychotherapeut Pota nicht effizient. „Das hält nicht an, der Nörgler hat den längeren Atem. Außerdem wollen wir, die sich um die Nörgler kümmern, auch unsere Aufmerksamkeit haben.“ Und einen großen Bogen um solche Negativnaturen zu schlagen stammt aus der Ratgeberliteratur praxisferner Elfenbeintürme. Wie soll das in einem Team umsetzbar sein? Auch Seifried hält von solcher Passivität nichts. Vielmehr nimmt er die Schwarzseher in die Pflicht und rät, Zielvereinbarungen zu treffen, ihnen Verantwortung zu übertragen, Aufgaben zu geben, wo sie sich bewähren und eigene Ziele entwickeln können. „So identifizieren sie sich stärker mit der Arbeit.“ Der Berliner Diplompsychologe hält viel von Feedbackkultur. „Wer sich daran gewöhnt, Gutes und Kritisches zu sagen, der schafft die Basis, sachlich mit Kritik umzugehen.“

Und was, wenn man selbst in die Nörglerfalle tappt, bevorzugt Montagmorgen nach dem Wochenend-Jetlag? Eine Übung lautet: Jeden Morgen überlegen, worauf freue ich mich heute im Büro? Klingt nach Kalenderweisheit, hilft immer. Einer dieser Kalendersprüche lautet übrigens: Der Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst.

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