Die neue Firmenzentrale von Apple ist ein echter Hingucker. Trotzdem wollen viele Mitarbeiter nicht einziehen. Was läuft da schief?
Von Anna Steiner
Der Büroalltag ist ein echter Kampf der Kulturen. Jeder hat seine eigenen Marotten: Der eine verwandelt seinen Arbeitsplatz in einen Dschungel, der andere in ein Museum. Manche brauchen eine strikte Ordnung, andere bevorzugen das Chaos. Am liebsten würden die meisten wohl in hermetisch abgeriegelten Zimmern arbeiten, ohne Geräusche durch die Klimaanlage oder Kollegen – natürlich mit Blick auf den begrünten Hinterhof. Aber das ist längst nicht mehr zeitgemäß: Flexibilität ist das Zauberwort moderner Bürogestaltung.
Dass das nach hinten losgehen kann, zeigt der Fall Apple: Es war der letzte öffentliche Auftritt des Apple-Gründers Steve Jobs. Im Stadtrat des kalifornischen Cupertino stellte Jobs die Pläne für ein neues Verwaltungsgebäude seines Unternehmens vor. „Es sieht aus, als ob ein Raumschiff gelandet wäre“, schwärmte er damals. Ähnlich fremd kommt den Mitarbeitern bei Apple ihr neuer Arbeitsplatz wohl auch vor: In diesen Wochen beziehen viele von ihnen ihre neue Wirkungsstätte. Glaubt man den Gerüchten, die der amerikanische Blogger John Gruber streut, so sind viele unzufrieden. Denn Apple hat vollständig auf „Open space“ umgesattelt. Statt in kleinen Bürozellen sitzen die Programmierer nun an langen Tischen in Großraumbüros. Die Managerebene hingegen soll im vierten Stock des monumentalen Gebäudes schicke Einzelbüros beziehen. Das ist nicht jedem recht. Von Unternehmensseite hört man zum Thema nur, es sei bislang zu früh, um Bilanz zu ziehen, da noch nicht alle Mitarbeiter umgezogen seien.
Wie viele Unternehmen erhofft Apple sich vom transparenten Bürodesign Synergieeffekte, die sich positiv auf die Produktivität auswirken. Das nonterritoriale Büro ist eines der Schlagwörter, die in diesem Zusammenhang oft fallen. Nach diesem Konzept steht den Mitarbeitern eine begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung, die spontan oder nach Anmeldung benutzt werden können. Auch das sogenannte „Desk sharing“ wird modern: Damit entfällt die persönliche Zuordnung eines Arbeitsplatzes zu einem bestimmten Beschäftigten. Und längst halten Modelle wie „Co-Working“ Einzug in den Unternehmeralltag.
Der Grund für die veränderte Bürokultur ist schnell gefunden: Die Arbeitgeber wollen ihre Kosten reduzieren. Großraumbüros, in denen die Mitarbeiter nur einen Schreibtisch haben, brauchen weniger Platz als Einzelbüros. In Zeiten von steigenden Immobilienpreisen ist das Argument genug für die Unternehmen, ihre Bürokultur zu überdenken. Die hippen Tech-Firmen im Silicon Valley haben es vorgemacht. Die offenen Bürokonzepte von Google sind nahezu legendär, bei Microsoft hat schon lange nicht mehr jeder sein eigenes Kämmerchen mit fest installiertem Rechner. Man erhofft sich mehr Kommunikation und Kooperation zwischen den einzelnen Angestellten und Abteilungen. Aus Arbeitnehmersicht haben die neuen Konzepte den Vorteil, dass sie im besten Fall eine flexiblere Einteilung zulassen. Arbeitszeiten und Arbeitsorte sind längst nicht mehr so festgelegt wie früher.
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Damit eine Unruhe wie bei Apple erst gar nicht entsteht, sollte der Arbeitgeber seine Mitarbeiter frühstmöglich mit einbinden. Dienstleister, die sich auf die Gestaltung von Büroräumen spezialisiert haben, führen daher zu Beginn eine Mitarbeiterumfrage durch. „Es muss nicht immer das hippe Büro sein“, sagt James Burk vom Bürogestalter Coneon. So passe ein Büro, wie es Google seinen Beschäftigten bietet, nicht in jede Unternehmenskultur. Wenn die Mitarbeiter mit Laptop im Café oder auf dem Sofa in der Lounge sitzen und dann von ihren Vorgesetzten schief angeguckt werden, obwohl sie arbeiteten, dann sei das womöglich nicht das richtige Modell. Neue Büroformen sollten nicht dogmatisch über alle Einheiten hinweg durchgeführt werden. Verschiedene Abteilungen hätten unterschiedliche Ansprüche, denen es gerecht zu werden gelte, um optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Die Mitbestimmung bei der Bürogestaltung hängt jedoch nicht nur vom Wohlwollen des Arbeitgebers ab oder von dessen demokratischer Gesinnung. Es gibt in Deutschland rechtliche Bestimmungen, die Schutzziele und Anforderungen definieren. Neben dem Arbeitsschutzgesetz, das vor allem die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten soll, gibt es das Betriebsverfassungsgesetz. Dort heißt es: „Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten von […] betrieblichen Räumen rechtzeitig zu unterrichten.“ Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats betreffen dabei nicht nur die Regelungen über den Schutz der Gesundheit und die Arbeitssicherheit. Auch bei der Ausgestaltung neuer Bürokonzepte hat der Betriebsrat ein Mitspracherecht. So kann er schon vor der Einführung einer neuen Arbeitsorganisation und neuer Büroräume die Planungen auf die Einhaltung der betrieblichen Regelwerke prüfen. Also: Sind Sicherheit und Gesundheit gewährleistet? Sind die Arbeitsabläufe gesichert? Haben die Angestellten genug Raum, um ihren Aufgaben nachzukommen? Sind die künftigen Arbeitsplätze menschengerecht? Auch das steht im Betriebsverfassungsgesetz: Die Würde des Arbeitnehmers muss gewahrt werden, er muss seine Persönlichkeit frei entfalten können. Der Betriebsrat kann so die einseitige, nur nach Kostengesichtspunkten konzipierte neue Bürogestaltung frühzeitig verhindern. Es gehe allerdings weniger darum, was die Mitarbeiter wollten, sondern mehr darum, was sie brauchten, um möglichst produktiv arbeiten zu können, erklärt Büro-Experte Burk.
Besonders häufig kommt es zu Problemen, wenn Angestellte, die bislang ein eigenes Büro hatten, nun in einem Großraumbüro arbeiten sollen. Das Konfliktpotential ist hoch: Jeder hat diesen einen Arbeitskollegen, der immer viel zu laut telefoniert, Besprechungen in die Länge zieht oder in der Mittagspause lautstark Serien schaut, während er über der Tastatur sein Lunchpaket verspeist. Hier helfen einfache Regeln. Doch bei aller Liebe für die viel geforderte Kommunikation: Nicht für jede Firma ist ein Großraumbüro das Richtige. „Die Mitarbeiter haben Verlustängste“, erklärt Burk. Sie fürchten um ihre Privatsphäre und ihre persönlichen Vorlieben, die ihnen die Arbeit erleichtern.
Manager kommen auf James Burk und sein Team oft mit dem Wunsch zu, ein „Open space“-Büro einzurichten. Das sei schließlich gerade sehr angesagt und das Nonplusultra der modernen Bürokultur. Doch bevor sie mit der Planung beginnen, fragen Burk und seine Leute erst einmal bei den Mitarbeitern ab: Wie wichtig sind ihnen die richtigen Lichtverhältnisse, ergonomische Möbel, Akustik oder sanitäre Anlagen? Wie zufrieden sind sie mit ihrem aktuellen Arbeitsplatz hinsichtlich dieser Parameter? Erst dann wird ein Konzept entwickelt, das möglichst viele Arbeitnehmer zufriedenstellen soll. Auch die Demographie spielt bei den Planungen eine immer größere Rolle. „Wenn ein Unternehmen Pausenräume baut und dort nur Sitzsäcke aufstellt, weil die gerade angesagt sind, werden die von den älteren Arbeitnehmern nicht genutzt“, weiß James Burk. Denn die kämen da nicht mehr hoch und würden die Räume dann meiden.
Natürlich kann man auch die Arbeitgeberseite verstehen: Die Suche nach den passenden Büros ist kein Wunschkonzert, sondern oft eine erhebliche Investition. Doch in Anbetracht des Wettstreits um die Talente sollte das Büro eine wichtigere Rolle spielen, als es das bislang in Deutschland tut: Um volle Produktivität zu entfalten, ist die richtige Arbeitsumgebung ein Muss – und immer öfter auch ein Auswahlkriterium bei der Jobsuche.
Stellt ein Unternehmen nun fest, dass das Großraumbüro doch nicht die beste Idee war, weil die Leistung der Angestellten abfällt, gibt es kleine Anpassungen, die nicht gleich ein Vermögen verschlingen. Verbindliche Regeln können das Konfliktpotential zwischen den Schreibtischen verringern. Außerdem kann das Unternehmen versuchen, unterschiedliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Beispielsweise können Räume freigemacht werden, um das fokussierte Arbeiten zu erleichtern, das im Großraumbüro vielleicht doch manchmal unter die Räder kommt. Auch Laptops können helfen, um die Mitarbeiter mobiler zu machen und sie von ihrem ungeliebten Schreibtisch im Großraum zu befreien.
Für Apple dürfte sich in den kommenden Wochen zeigen, ob die Mitarbeiter sich mit der neuen Situation arrangieren können. Ansonsten müssen wohl doch wieder die in Amerika so beliebten Trennwände zwischen den Schreibtischen eingeführt werden. Das ist dann zwar vielleicht nicht mehr so „hip“, aber wenigstens effektiv.
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