Schlafen erhöht die Produktivität

Der Schlüssel zu mehr Produktivität im Zeitalter der Ideen heißt: Bewegung, Schlaf und Spaziergang – statt Kontrolle, Zeiterfassung und Anwesenheit.

Die meisten Unternehmen sind davon besessen, ihre Produktivität zu steigern. Privater Internetzugang ist in vielen Organisationen streng reguliert, Arbeitszeiten werden kontrolliert und Anreizsysteme sind so ausgerichtet, dass sie den Output der Mitarbeiter optimieren sollen. So hat Marissa Mayer kurz nach ihrem Einstieg bei Yahoo Home-Office-Vereinbarungen abgeschafft, um Produktivität zu steigern und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern zu fördern. Gemeinsam mit Automatisierung und Digitalisierung waren diese quantitativen Maßnahmen, die auf die Maximierung des individuellen Outputs beziehungsweise die Minimierung des jeweiligen Inputs gesetzt haben, sehr erfolgreich. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einem starken Wachstum der Gesamtproduktivität beigetragen.

Dieses Produktivitätswachstum ist in den letzten Jahren jedoch deutlich zurückgegangen. Seit 2010 ist die Produktivität in den Vereinigten Staaten nur noch um 0,4 Prozent im Jahr gestiegen. Zwischen 1995 und 2010 betrug dieses Wachstum jährlich noch 2,6 Prozent. Diese Zahlen deuten an, dass eine weitere Optimierung von Produktivität durch alte Strategien wie längere Arbeitszeiten und zusätzlichen Druck nicht länger wirkungsvoll ist. Eine Studie der Stanford-Universität fand heraus, dass sich die Leistung eines Mitarbeiters, der 70 Stunden je Woche arbeitet, nicht von seiner Leistung bei einer Arbeitszeit von 56 Stunden unterscheidet.

Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group hat gezeigt, dass weniger Arbeit und mehr Pausen bei Beratungsteams zu einer Zunahme anstatt zu einer Abnahme der Produktivität führten. Leslie Perlow und ihr Team haben in einer Serie von Experimenten mit verschiedenen Beratungsteams in Kundenprojekten planbare und vorgeschriebene Pausenzeiten innerhalb des Projekts eingeführt. Insbesondere haben die Teams einen Abend pro Woche definiert, an dem nur bis 18 Uhr gearbeitet wurde. Dies habe sich für die Teams anfänglich sehr merkwürdig angefühlt. Nach kurzer Zeit hätten sie jedoch die Vorteile gesehen. Sie hätten effektiver und nicht mehr länger gearbeitet. Neben einer positiveren Work-Life-Balance haben die Teams von einer offeneren Kommunikation und schnelleren Lernprozessen innerhalb der Teams berichtet. Die Experimente haben außerdem gezeigt, dass die vorgeschriebenen Pausen zu einer Steigerung der Motivation und der Mitarbeiterbindung führten.

Auf Basis der gleichen Logik hat Toyota in Göteborg für seine Mitarbeiter einen Sechsstundentag eingeführt. Das Ergebnis war ebenfalls sehr positiv. Unfälle am Arbeitsplatz und Fluktuation gingen zurück, und die Mitarbeitermotivation stieg deutlich an. Vor kurzem wurde in Schweden auch eine detaillierte Pilotstudie durchgeführt, um die Effekte von weniger Arbeit auf Produktivität zu untersuchen.

Viele Studien legen nahe, dass Unternehmen viel zu lange ein Kernproblem für reduzierte Produktivität außer Acht gelassen haben: Stress. Stress verhindert Produktivität. In Deutschland haben sich psychologisch bedingte Fehltage seit 2003 verdoppelt. Im Vereinigten Königreich entstanden durch Stress 15 Millionen Fehltage. Die Unternehmensberatung Willis Tower Watson hat in einer Umfrage unter mehr als 22 347 Mitarbeitern aus zwölf Ländern herausgefunden, dass Mitarbeiter mit einem hohen Stressniveau weniger produktiv waren und höhere Fehlzeiten aufwiesen als die Mitarbeiter, die nicht unter überhöhtem Druck arbeiteten. Die Auswirkungen von Stress und die daraus folgende Angst spiegeln sich für Organisationen jedoch nicht nur in erhöhten Fehltagen wider. Untersuchungen haben ergeben, dass Stress auch die Entscheidungsfindung und das Führungsverhalten von betroffenen Personen schon lange vor einem möglichen Burnout beeinflusst.

Der Versuch, Produktivität durch mehr Arbeit zu steigern, die zu mehr Stress führt, würde also Produktivität eher reduzieren als erhöhen. Aus unserer Sicht stehen wir an einem Wendepunkt, an dem wir mit den erfolgreichen Methoden der letzten Jahrzehnte nicht mehr weiterkommen. Vielmehr müssen wir die Treiber von Produktivität im Zeitalter der Ideen neu überdenken, um auch in Zukunft erfolgreich sein zu können.

Firmen wie Google, Trivago und Whole Foods haben gezeigt, dass auch ein anderer Weg möglich ist. Diese Unternehmen konzentrieren sich darauf, ihre Arbeitnehmer „smarter“ statt mehr oder schneller arbeiten zu lassen. Darüber hinaus ermöglichen sie es ihren Mitarbeitern, sich sowohl physisch als auch psychisch zu erholen. Aus ihrer Sicht führen weniger Stress und eine bessere Arbeitsumgebung zu mehr Ideen, weniger Fehlzeiten, besseren Entscheidungen und offenerer Führung, kurzum: zu einer besseren Produktivität.

Weniger Stress kann zu außergewöhnlichen Ergebnissen führen. In den letzten drei Jahren hat Google seine Produktivität um 42 Prozent erhöht. Zum Vergleich: In derselben Periode lag das durchschnittliche Produktivitätswachstum aller Firmen im deutschen Dax bei 1 Prozent und das gesamte Produktivitätswachstum in amerikanischen Unternehmen bei 2 Prozent. Auch Whole Foods lag mit einem durchschnittlichen Produktivitätswachstum von 5 Prozent deutlich über diesen Werten. Trivago war ebenfalls außergewöhnlich erfolgreich. Die Firma hat seit ihrer Gründung im Jahr 2005 in mehr als 55 Märkte expandiert und weist seit 2012 ein Produktivitätswachstum von 14 Prozent auf.

Psychologische Studien zeigen, dass der Schlüssel zu Stressabbau und somit zu besseren Ideen und mehr Output wesentlich durch Tätigkeiten bestimmt wird, die wir im traditionellen Sinne nicht als Arbeit ansehen. So können die drei wichtigsten Maßnahmen zum Stressabbau und zum Aufbau von Stressresilienz typischerweise nicht am Arbeitsplatz durchgeführt werden:

Schlafen: Arianna Huffington schreibt in ihrem Buch „Thrive“, dass sie nach einem Zusammenbruch wegen beruflicher Erschöpfung jede Nacht acht Stunden schläft. Sie sagt, dass sie hierdurch deutlich besser mit Stress umgehen könne. Neueste psychologische Studien stützen diese Behauptung: Guter Schlaf führt zu erhöhter Konzentration, Kreativität und besseren Entscheidungsprozessen, aber auch zu einer besseren Regulierung der eigenen Emotionen. Der Harvard-Neurologe Josna Adusumilli fand heraus, dass zwölf aufeinander folgende Tage mit nur sechs Stunden Schlaf die kognitive Leistung einer Person genauso beeinträchtigen wie das Wachsein für 24 Stunden am Stück oder ein Blutalkoholspiegel von 0,1 Promille.

Meditation: Untersuchungen haben ergeben, dass Achtsamkeitsmeditation Stress und Angst um mehr als 50 Prozent reduzieren kann. Eine kürzlich durchgeführte neurologische Studie ergab, dass regelmäßige Meditation sogar die Struktur des Gehirns verändern kann und den präfrontalen Kortex verdickt. Der präfrontale Kortex ist ein Bereich, der für rationales Denken und die Entscheidungsfähigkeit verantwortlich ist.

Sport: Der dritte Treiber für die Reduktion von Stress und für eine verbesserte Entscheidungsfindung ist regelmäßiger Sport wie zum Beispiel Laufen oder Yoga. Körperliche Aktivität hat eine direkte und messbare Auswirkung auf das Gehirn: Die Produktion zahlreicher positiver Hormone – Serotonin, Endorphine und Dopamin – dient als Gegenmittel für Stress. Dies kann auch zur Problemlösung im Beruf beitragen. Darüber hinaus wird Sport auch mit einer verbesserten Regenerationsfähigkeit des Gehirns verbunden. Dies wiederum erhöht Effizienz und Produktivität.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Unternehmens erfordert einige wesentliche Veränderungen in der Mitarbeiterführung, um auch in Zukunft Produktivitätszuwächse erzielen zu können.

Wir haben fünf Ansätze und Strategien ermittelt, die Sie in Ihrer Organisation nutzen können. Diese Ansätze und Strategien erfordern jedoch einige Änderungen, die von der traditionellen Definition von Produktivität und „im Büro zu arbeiten“ abweichen könnten.

Verändern Sie die Art und Weise, wie Arbeit wahrgenommen wird. Die Basis, um Stress und negative Emotionen reduzieren zu können, ist Ihre Definition von Arbeit und Produktivität. Wir wurden in der Regel so sozialisiert, dass wir Produktivität als Funktion von Arbeitszeit im Büro sehen. Das stimmt jedoch nicht mehr. Wenn Ideen und gute Führung wichtiger werden als Zeit, müssen Manager lernen zu akzeptieren, dass Ihre Mitarbeiter um 15 Uhr das Büro verlassen oder morgens später kommen, solange sie gute Ergebnisse produzieren. Außerdem müssen Führungskräfte erkennen, dass eine Stunde am Tag, die im Fitnessstudio oder beim Laufen verbracht wird, die Produktivität des gesamten Tages steigern und Entscheidungen und Kreativität verbessern kann. Genau wie Schlafen oder Meditation ist dies also keinesfalls ein nettes Hobby, sondern vielmehr ein produktivitätssteigernder Teil der Arbeit. Es ist also eine Investition, die Mitarbeiter gleichzeitig für sich selbst und das Unternehmen tätigen.

Geben Sie den Mitarbeitern mehr Freiheiten: Stressreduzierende Techniken können nur von den Mitarbeitern selbst angewandt werden. Jemand kann nicht für eine andere Person meditieren. Somit benötigen Mitarbeiter genug Freiraum, um diese Techniken in ihren Alltag zu integrieren, innerhalb und außerhalb des Büros. Das bedeutet auch, dass Mitarbeitern mehr Freiraum und Vertrauen entgegengebracht werden müssen. Manager sollten anhand von erzielten Ergebnissen und nicht von Prozessen leiten. Wenn Mitarbeitern und Managern mehr Eigenständigkeit zugestanden wird, können sie frei entscheiden, wann und wie sie arbeiten, um die erwünschten Ergebnisse zu erzielen, und wann und wie sie sich darauf konzentrieren, ihr Denken zu schärfen. Dies bedeutet aber nicht, dass Mitarbeiter nicht geführt werden sollten. Das Führen von Mitarbeitern und das Geben von Feedback sind vielmehr grundlegend, um das persönliche Wachstum von Mitarbeitern zu unterstützen. Außerdem können so auch Mitarbeiter erkannt werden, die ihre Freiheit ausnutzen und sich auf Kosten des Teams zurücklehnen.

Kreieren Sie ein unterstützendes Arbeitsumfeld: Vielleicht haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren. Wenn es nur Duschen im Büro geben würde! Einfache Maßnahmen wie diese können Ihren Mitarbeitern mehr Flexibilität geben, Sport in den Arbeitsalltag zu integrieren. Sie können Laufgruppen in der Mittagspause gründen oder gemeinsam mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Google geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie bieten ihren Mitarbeitern ein Fitnessstudio, gesundes Essen und flexible Arbeitszeiten. Auch Trivago ermöglicht es Mitarbeitern, im Büro Sport zu treiben, und bietet regelmäßige Yogaklassen an. Auf dem Dach der neuen Firmenzentrale in Düsseldorf ist sogar eine Laufstrecke geplant. Unternehmen wie Headspace bieten Meditationsapps an, die kostengünstig und schnell in Unternehmen eingeführt werden können. Hier können sich Mitarbeiter sogar gegenseitig unterstützen und motivieren.

Unterstützen Sie die Regeneration der Mitarbeiter: Auch wenn es im ersten Moment unmöglich erscheinen mag, verzichten Sie auf Telefonkonferenzen und E-Mails nach Feierabend und besonders im Urlaub – es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Dieser Verzicht bezieht sich sowohl auf das Senden als auch das Empfangen von E-Mails. Am Ende reduziert es Stress nämlich nicht, wenn Sie nach dem Urlaub zurück ins Büro kommen und in Ihrem E-Mail Postfach 1000 neue Emails vorfinden. Lassen Sie Ihre Urlaubsvertretung sich darum kümmern. Sie können sogar einen Schritt weitergehen. Daimler hat für seine Mitarbeiter einen Service geschaffen, der alle E-Mails, die an Mitarbeiter während des Urlaubs geschrieben werden, automatisch löscht. Volkswagen leitet ab 30 Minuten nach Feierabend keine E-Mails mehr an die mobilen Endgeräte der Mitarbeiter weiter. Aber die Reduzierung von E-Mails in der Freizeit ist nicht der einzige Weg, Ihre Mitarbeiter bei der Regeneration zu unterstützen. Sie können Ihre Mitarbeiter auch dazu ermutigen, das Büro mindestens einmal am Tag zu verlassen, sei es für das Mittagessen oder einen kurzen Spaziergang. Studien haben gezeigt, dass selbst ein kurzer Spaziergang das Gehirn deutlich bei der Regeneration unterstützt.

Passen Sie Ihr Anreizsystem an: Diese Maßnahmen können durch ein neues Anreizsystem unterstützt werden, in dem nicht nur die klassischen Zielgrößen wie finanzielle Leistung oder Arbeitszeit im Vordergrund stehen. Vielmehr kann durch eine Anpassung stressreduzierendes Verhalten innerhalb und außerhalb des Unternehmens gefördert werden. Der Lebensmittelhändler Whole Foods hat in sein Anreizsystem eine Vielzahl von Gesundheitsdimensionen aufgenommen, die auch gesundes Verhalten außerhalb der Arbeitszeit fördern. Ein maßgeblicher Teil des Bonus hängt hier von der Teilnahme an Sportprogrammen ab. Raucher hingegen erhalten automatisch keinen zusätzlichen Bonus. Die amerikanische Versicherung Aetna zahlt ihren Mitarbeitern 25 Dollar je Nacht, in der diese mehr als sieben Stunden schlafen. So können Mitarbeiter ihren Bonus um maximal 500 Dollar im Jahr steigern.

Der Abbau von Stress kann so eine Win-win-Kultur im Unternehmen schaffen. Weniger gestresste und gesündere Mitarbeiter sind motivierter, treffen bessere Entscheidungen und sind produktiver. Eine solche Kultur von weniger Stress und mehr Produktivität benötigt allerdings nicht mehr und nicht weniger als ein Umdenken in Bezug darauf, was wir als Arbeit definieren und was nicht. Es ist eine Kultur, die sich abwendet von Kontrolle, Zeiterfassung und Anwesenheit und hinwendet zu mehr Selbstbestimmung, Freiraum und Fitness. Dies ist der Schlüssel für mehr Produktivität im Zeitalter der Ideen.

Philip Meissner ist Habilitand in der Arbeitsgruppe für Strategisches und Internationales Management an der Philipps-Universität Marburg.

Torsten Wulf ist Professor für Strategisches und Internationales Management an der Philipps-Universität Marburg.

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