Schummeln auf Geschäftsreise

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Schon für Kleinbeträge werden Grenzen des Rechts überschritten. Für die einen sind Abrechnungen von Reisekosten ein lästiges Übel, für die anderen ein Hort der Trickserei.

Von Timo Kotowski

Er gibt es unumwunden zu. „Bei einer Taxifahrt über 20 Euro habe ich mir eine Quittung über 50 Euro ausstellen lassen und abgerechnet“, sagt der Mann auf Geschäftsreise. Wenn Manager, Monteure und andere Mitarbeiter im Dienste ihrer Unternehmen auf Tour gehen, wird auch geschummelt und getäuscht. Die Abrechnungen nach der Rückkehr, das Sortieren von Belegen und das Ausfüllen der Formulare für die Buchhaltung erscheinen dem einen als lästiges Übel, das schludrig abgearbeitet wird, dem anderen als Anreiz für besondere Kreativität – bis über die Grenzen des Zulässigen hinaus. „Jede vierte Reisekostenabrechnung ist fehlerhaft“, sagt Götz Reinhardt, der für den Geschäftsreisedienstleister Concur die Geschäfte im deutschsprachigen Raum führt.

Das Unternehmen hat nachgebohrt, wie in deutschen Betrieben und Konzernen die Reisen der Mitarbeiter abgerechnet werden. Befragt wurden nicht Reisemanager oder Buchhalter, sondern 480 Reisende – mitten auf der Reise, an einem deutschen Flughafen. Und die gaben beachtliche Auskünfte. „15 Prozent der Fehler in den Abrechnungen werden absichtlich gemacht“, fasst Reinhardt zusammen. Angst vor rechtlichen Folgen scheint wenig verbreitet. Dabei hat schon das Bundesarbeitsgericht falsche Abrechnungen als Kündigungsgrund bestätigt. Es hatte 2014 den Fall eines Piloten zu verhandeln, der zum Dienstantritt von Frankfurt nach München gefahren war. Er rechnete Kilometergeld für die Fahrt mit dem eigenen Auto ab, obwohl er – wie sich herausstellte – zu einem günstigeren Preis geflogen war. „Ein Arbeitnehmer, der bei Spesenabrechnungen bewusst falsche Angaben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, verletzt in erheblicher Weise seine vertraglichen Pflichten“, urteilte das Gericht. Ein Verkaufsleiter eines Bauunternehmens konnte hingegen vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen seine Kündigung abwenden. Er habe sich in der Abrechnung von 136 000 dienstlich gefahrenen Kilometern innerhalb von drei Jahren um 916 Kilometer vertan. Dafür bekam er 274 Euro ausgezahlt. Das Gericht wertete das als Nachlässigkeit, nicht als Betrug.

Hinter fünf von sechs zu beanstandenden Abrechnungen steckt den Concur-Zahlen zufolge keine kriminelle Energie. Falsch sind sie trotzdem. Ursachen sind Unlust auf die Bürokratie nach der Reise und die ebenso verbreitete Überforderung mit immer komplexeren Abrechnungsprozeduren. Belege zusammenzustellen und Formulare auszufüllen wird für viele Geschäftsreisende zur verhassten Mammutaufgabe – vor allem dann, wenn Quittungen nicht mehr sofort auffindbar sind oder nicht eindeutig ist, welche Zahl wo auf einem Formblatt einzutragen ist. Wegbereiter einer Kündigungswelle will Concur-Manager Reinhardt mit seinen Erkenntnissen nicht sein. „Wie Unternehmen damit umgehen, ist deren Angelegenheit. Wir können bloß Vorgänge transparent machen“, sagt er. Concur ist ein Softwareunternehmen, es entwickelt und installiert Programme für die Verwaltung und Abrechnung von Geschäftsreisen. Für Aufsehen sorgte 2014, dass der Softwarekonzern SAP Concur kaufte – für 6,5 Milliarden Euro. Bei Mogeleien auf Geschäftsreisen geht es um weit geringere Beträge. Wenn getrickst wird, dann werden in der Mehrzahl der Fälle bloß Zusatzkosten von 10 bis 30 Euro in die Abrechnungen eingefügt. Doch die kleinen illegalen Schummeleien ergeben für die deutsche Wirtschaft aufsummiert einen Schaden, der in den dreistelligen Millionenbereich reichen dürfte. Nach Angaben des Geschäftsreiseverbands VDR geben elf Millionen Reisende auf fast 183 Millionen Einzelfahrten annähernd 51 Milliarden Euro im Jahr aus. Mit Kosten von durchschnittlich 153 Euro je Tag sind Geschäftsreisen mehr als doppelt so teuer wie Urlaubsreisen, die im Mittel 76 Euro je Person und Tag kosten. Das ergibt sich schon dadurch, dass Manager und Monteure nicht erst auf Schnäppchenjagd gehen, bevor sie buchen. Sie reisen auch kurzfristig, wenn es für ihre Arbeit erforderlich ist. Aber auch unnötige oder erfundene Ausgaben erhöhen die Kosten.

 

Die Liste der Abrechnungstricks ist lang. Die fingierte handschriftliche Quittung vom Taxifahrer ist ein Klassiker. Danach kommen in der Schwindel-Rangfolge Bewirtungsbelege aus Restaurants, wo nicht immer nur mit dem Geschäftspartner, sondern auch mal mit Bekannten gespeist wurde. Außerdem tauchen zweimal zur Erstattung eingereichte Belege auf. Reinhardt kann auch erklären, wie sich mit der Angabe von Abreise- und Rückkehrzeiten tricksen lässt. Der Café-Besuch am Vormittag kann dadurch zum Reisetermin werden, obwohl der Zug erst nachmittags losfährt. Und wenn Tagesreisen laut Abrechnung immer rund acht Stunden gedauert haben, kann das damit zu tun haben, dass ab dieser Schwelle der Geschäftsreisende einen Verpflegungsmehraufwand geltend machen kann – pauschal 12 Euro. Der Concur-Befund dazu: „Die meisten absichtlichen Falschangaben werden bei eintägigen Reisen gemacht.“ Während Schlagworte wie Digitalisierung und Industrie 4.0 immer häufiger in Unternehmensberichten stehen, bewegen sich viele Betriebe, wenn es um Reisen geht, anscheinend noch nahe der Postkutschenära. In schätzungsweise 30 Prozent der Betriebe wird automatisiert über spezielle Programme wie von Concur abgerechnet. „Zum Teil werden Reisekosten aber noch mit Excel-Tabellen verwaltet“, sagt Reinhardt. „Der Anteil der Fehler in Abrechnungen ist umso größer, je mehr manuell erledigt werden muss.“ In der digitalen Variante wird über die Unternehmenskreditkarte bezahlt, der Reisende legt nichts aus. Die Buchhaltung erhält automatisch eine formvollendete Rechnung.

Handgeschriebene Quittungen, auf denen der Betrag schwer lesbar oder falsch ist, kommen nicht mehr vor, wenn auch das Taxi per App geordert wird. Reinhardt preist als Vorzug, dass Geschäftsreisenden viel Bürokratie erspart bleibt. „Der Wohlfühlfaktor ist der Treiber dieser Entwicklung. Der Wandel geht in die Richtung, so wenig Aufwand wie nötig zu haben.“ Doch die Kehrseite ist, dass der Geschäftsreisende gläserner wird, was den Controller weniger stören dürfte als auf Datenschutz bedachte Beschäftigte. Denn zuweilen verknüpfen Geschäftsreisende mit dem Unterwegssein einen eigentümlichen Freiheitsbegriff. So sollen 18 Prozent der Befragten sich schon mal über unternehmensinterne Vorgaben, was gebucht werden darf und was nicht, hinweggesetzt haben. Der Fachverband VDR gibt an, dass etwa jede 20. Buchung mit Vorschriften bricht. In etwas mehr als einem Drittel der Fälle wird eine Kostenobergrenze überschritten – besonders Beschäftigte in Finanzabteilungen sollen dazu tendieren. Auf Platz zwei folgt, dass Geschäftsreisende sich nicht daran halten, wo und wie sie zu buchen haben. Nach Ansicht von Reinhardt ist gerade diese Vorgabe immer schwieriger aufrechtzuhalten. „Das Buchungsverhalten verändert sich.“ Jeder Fünfte wolle zwar immer noch klassisch über ein Reisebüro oder die Reisestelle eines Unternehmens Fahrten planen. Doch immer häufiger würden mobile Anwendungen genutzt. Und ist erst das Smartphone für die Geschäftsreiseplanung zur Hand genommen, lassen Menschen ungern von Gewohnheiten ab. „Viele Reisende wollen die eigenen Apps, die sie sowieso installiert haben, auch für ihre Geschäftsreisen nutzen“, sagt Reinhardt. Das treibt besondere Blüten. Es soll schon Mitarbeiter gegeben haben, die ein Hotel auf Schnäppchenseiten wie Urlaubspiraten oder Urlaubsguru buchen wollten. In den Ferien hatten sie es genauso gemacht und sich über eine Ersparnis gefreut. Im Gegensatz zu den kreativen Kostenabrechnern wollten sie nebenbei auch ihren Arbeitgeber von einem Rabatt profitieren lassen. „Wenn 50 bis 60 Prozent der Reisenden so buchen wollen, kann das ein Reisemanager eines Unternehmens nicht mehr ignorieren“, sagt Reinhardt über die neue digitale Freiheitsliebe. Concur hat auch eine Verknüpfung mit dem Wohnraumvermittler Airbnb geschaffen, damit Rechnungen von dort direkt verbucht werden. Doch damit steht der Techniker im Konflikt mit Reisekostenverantwortlichen in Unternehmen. Die wollen nämlich die Kontrolle darüber behalten, wann und wo Kosten entstehen. Deshalb erlauben sie nicht jeden Weg zur Buchung. Zuletzt konnten sich nach Angaben des VDR, in dem die Reisemanager deutscher Betriebe und Konzerne organisiert sind, erst zwei Prozent der Verantwortlichen in großen Unternehmen mit der Idee anfreunden, dass jeder Mitarbeiter völlig frei dort bucht, wo er es gerade möchte.

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