Was kann ich tun, wenn mein Chef täuscht und betrügt?

Bildquelle: Unsplash

Mitten im Strudel des Diesel-Skandals stecken zurzeit die VW-Konzernspitze und einige Topmanager. Dass die Front des Schweigens erst fällt, wenn Ermittlungsdruck spürbar ist, halten viele für ein moralisches Armutszeugnis. Könnten Führungskräfte betrügerisches Verhalten ihrer Chefs nicht anzeigen, bevor der Skandal auffliegt? Was wäre passiert, hätte VW-Manager Schmidt die bewusste Irreführung den amerikanischen Behörden früher gemeldet? Oder den Konzernchef früh alarmiert. Gedankt hätte der ihm wohl nicht. Man hätte eher alles darangesetzt, ihn mundtot zu machen.

In der Überseeregion steht für VW viel auf dem Spiel. Nehmen wir also an, Schmidt hätte das Unterdrücken seiner Hinweise nicht hingenommen und sich den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden als Zeuge angeboten. Spätestens dann hätte sein Arbeitgeber über eine fristlose Kündigung nachgedacht. Das deutsche Arbeitsrecht lässt die Kündigung von Whistleblowern zu. Durch eine Anzeige verletze der Beschäftigte seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers. Auch wenn sich dieser nicht gesetzeskonform verhält.

Jene Schäden des Arbeitgebers, die der Mitarbeiter verhindern soll, sind nicht Rufschäden durch kriminelle Handlungen, wie sie beim Diesel-Skandal eingetreten sind. Der zu vermeidende „Schaden“ besteht in der Strafverfolgung, die den Repräsentanten des Arbeitgebers durch eine Anzeige droht. Allerdings berücksichtigt das Arbeitsrecht nun auch nicht nur das Interesse des Arbeitgebers. Im Einzelfall sollen die Grundrechtspositionen von Arbeitgeber und Whistleblower gegeneinander abgewogen werden.

 

Dabei gilt die Anzeige als eine vom Rechtsstaatsprinzip gedeckte Möglichkeit der Rechtsverfolgung. Andererseits soll der Arbeitgeber verlangen können, nur mit Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern. Das Ergebnis dieser Abwägung im Einzelfall ist ungewiss. Der Whistleblower handelt stets in einer Grauzone der Rechtsunsicherheit. Das Verständnis der Unternehmerfreiheit, die selbst bei gesetzwidrigem Verhalten in die Abwägung einbezogen werden soll, weckt störende Gefühle. Es ist diese Rechtsunsicherheit, die mutiges Handeln gegen kriminelles Verhalten der Chefs verhindert.

Eine Kündigung hätte Schmidt für die Anzeige bei den amerikanischen Behörden wohl nicht hinnehmen müssen. Er hat in unserem Beispiel eine interne Klärung der Missstände vergeblich versucht. Seine Anzeige hätte auf einer ethischen Motivation beruht. Er hätte darauf verweisen können, Rufschäden für das Unternehmen abwenden zu wollen. Die Rechtsunsicherheit, die auf ihm im Zeitpunkt der Anzeigeerstattung lastete, aber bleibt.

Norbert Pflüger hat eine Kanzlei für Arbeitsrecht in Frankfurt.

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main
Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de

Empfohlene Artikel