Statistiker sind gefragt: Gehalts- und Berufschancen

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Die Datenflut macht das oft belächelte Fach Statistik begehrter denn je. Zahlenprofis können sich vor Angeboten kaum retten. Aber intelligente Maschinen sorgen für Unsicherheit.

Ursprünglich wollte Anna Dobelmann Konditorin werden. Doch schon nach dem ersten Ausbildungsjahr wusste sie: „Das ist nicht das, was ich die nächsten 50 Jahre machen möchte.“ Als ihr älterer Bruder gerade das Studienfach wechselte und mit der Statistik liebäugelte, befasste sich die 21-Jährige aus Herne genauer mit dem Studiengang. „Ich fand es interessant, dass man in der Statistik so viele Freiheiten hat und sich später mit Nebenfächern spezialisieren kann.“ Mathematik habe sie schon in der Schule interessiert – „bis zum Leistungskurs“, sagt sie und schmunzelt. Jetzt studiert sie im dritten Semester Statistik an der Technischen Universität (TU) Dortmund.

Im Alltag begegnen uns Statistiken sehr häufig – ob beim Sport, bei Benzinpreisen oder Meinungsumfragen. Und wer Statistik hört, denkt vermutlich zuerst an trockene Zahlen und Wahrscheinlichkeiten, vielleicht gar an das – fälschlich dem ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill zugeschriebene – Bonmot vom Vertrauen in die selbst gefälschte Statistik. „Dass Statistik Erbsenzählerei und eine nüchterne Materie sei – das ist ein negatives Image. Aber das hat sich inzwischen geändert“, sagt Walter Krämer, Professor für Statistik an der TU Dortmund. Vor einigen Jahren hätten etwa die Studierendenzahlen in Dortmund noch unter dem Soll gelegen. Inzwischen aber gebe es deutlich mehr junge Leute, die sich nach dem Abitur für ein Statistikstudium interessierten, sagt Krämer, auch dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit an Schulen. Begriffe wie Big Data, Data Science und Data Analyst machen das Fach attraktiver. Google-Chefökonom Hal Varian sagte bereits im Jahr 2009, Statistiker sei der „sexiest job of the 21st century“.

Doch kein Traumjob ist ohne Tücken, auch dieser nicht. „Es gibt eine große Hürde“, sagt Wissenschaftler Krämer. „Und die heißt Mathematik.“ Daran scheiterten viele, gerade in den ersten Semestern. Studentin Anna Dobelmann kann das bestätigen. „Analysis zum Beispiel ist schon sehr anspruchsvoll. Das muss man erst mal schaffen“, sagt sie. Doch wer diese Hürde nimmt, hat auf dem Arbeitsmarkt eine optimale Ausgangsposition: „Die Berufsaussichten für Statistiker sind exzellent. Die Arbeitslosenquote unserer beinahe 2000 Absolventen liegt bei null Prozent“, erläutert Krämer.

Der Grund dafür liegt eigentlich auf der Hand: Durch die Digitalisierung und den wachsenden Einsatz von Sensoren fallen in immer mehr Wirtschaftszweigen große Datenmengen an – Stichwort: Big Data. Um aus diesen Daten Erkenntnisse zu gewinnen, braucht es zunehmend Fachleute, die das Handwerkszeug dafür mitbringen. Die sind aber insgesamt knapp, was nicht zuletzt an den begrenzten Studienmöglichkeiten liegt: Im angloamerikanischen Raum gibt es an den meisten Universitäten ein eigenes Department of Statistics. In Deutschland dagegen hat nur die TU Dortmund eine eigene Statistik-Fakultät, Statistikstudiengänge bieten die Hochschulen in München und Magdeburg an. Masterprogramme finden sich darüber hinaus an nur sechs weiteren Universitäten. Kein Wunder also, dass Nachwuchsstatistiker meist zwischen mehreren Jobangeboten wählen können. Neben klassischen Tätigkeiten bei Banken, Versicherungen oder in der Marktforschung warten gutbezahlte Positionen in der Forschung, in der Pharmaindustrie, in der Logistik oder im Versandhandel.

Fachleute mit Statistikkenntnissen werden bei uns in verschiedenen Bereichen händeringend gesucht„, sagt Frank Surholt, stellvertretender Pressesprecher des Versandhändlers Otto aus Hamburg. Datenfachleute brauche es vor allem für die Auswertung von Kunden- und Marktdaten, in der sogenannten Business Intelligence. Auch beim Online-Shop fielen haufenweise Daten an. Eine hoch komplexe Aufgabe etwa sei es, aus vorhandenen Daten Vorhersagen für das zukünftige Kaufverhalten zu treffen. „Die Erkenntnisse der Experten beeinflussen dann beispielsweise, an welchem Lagerstandort wie viele Waschmaschinen vorrätig sind“, erläutert Surholt. Je präziser die Prognose, desto kürzer müssten die Geräte gelagert werden. Das spare Kosten und verkürze die Lieferzeiten. Statt nach ein paar Tagen erhielten die Kunden ihre Bestellung innerhalb von 24 Stunden, sagt Surholt.

„Wir suchen vor allem Leute, die über den Tellerrand hinausschauen und die um die Ecke denken“, sagt der Otto-Sprecher. Wann beispielsweise ein bestimmter Artikel besonders stark nachgefragt wird, hänge von vielen Faktoren ab. So könne zum Beispiel das T-Shirt der Moderatorin einer beliebten Fernsehsendung die Nachfrage stark beeinflussen – auch solche realitätsnahen Aspekte müssten Data Scientists auf dem Schirm haben. Wer lieber allein im stillen Kämmerlein arbeite, habe dagegen weniger gute Aussichten. Schließlich sei die Arbeit in agilen Teams organisiert, Datenexperten müssten sich ständig mit anderen Fachleuten wie etwa Programmierern austauschen.

Die wachsende Nachfrage nach Statistikexperten bestätigt auch Bernd Schmitz. Der Leiter des Personalmarketings beim Chemie- und Pharmariesen Bayer aus Leverkusen nennt für global tätige Unternehmen interkulturelle Kompetenzen als Schlüsselqualifikation. Für Einstiegspositionen gebe es noch keinen Mangel. Aber für viele Aufgaben im Unternehmen seien Spezialisten gefragt, die im Idealfall schon während des Studiums Berufserfahrung gesammelt haben. „Leute, die sich auf Biostatistik spezialisiert oder die ein mehrmonatiges Praktikum in der Entwicklung absolviert haben, sind schon sehr rar“, sagt er. In der Regel lasse sich die Spezialisierung auch später noch nachholen, ein klarer Vorteil sei sie aber allemal.

Dass sich universitäre Ausbildung und Berufspraxis mitunter stark unterscheiden, schildert Alexander Gerharz aus München. Der 23-Jährige studiert Statistik im dritten Mastersemester an der renommierten Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), arbeitet nebenher als Werkstudent und sagt: „Schon in den ersten Tagen im Job wird klar: An der Uni geht es häufig um Idealfälle. Die Realität ist dann meist doch komplizierter.“ Eine Herausforderung sei es zudem, Kunden ohne tieferes Statistikwissen die Ergebnisse verständlich zu machen, etwa durch Visualisierung. Er könne sich zum Beispiel eine Zukunft in der statistischen Beratung mit Kunden aus unterschiedlichen Bereichen sehr gut vorstellen.

Walter Krämer von der TU Dortmund verweist auf ein anderes Feld für Statistiker mit hohem Bedarf und also sehr guten Aussichten: die amtliche Statistik. „In statistischen Bundes- und Landesbehörden und in städtischen Statistikämtern sind EU-weit etwa 1000 Akademikerstellen zu besetzen – jedes Jahr“, sagt er. In einem Aufsatz schildert Markus Zwick, Honorarprofessor für Statistik an der Goethe-Universität Frankfurt, die Herausforderungen, die Big Data für diesen Zweig der Statistik mit sich bringt. Konsens der Forschung sei es, „dass sich das Profil des künftigen Amtsstatistikers in weiten Bereichen wandeln wird“. Neben Statistikkenntnissen, IT-Fertigkeit und analytischer Expertise seien zunehmend auch Managementfertigkeiten, Kommunikations- und Visualisierungsfähigkeiten gefragt.

Das Problem allerdings: Häufig verdienen Statistiker in der freien Wirtschaft deutlich besser. Gleichzeitig seien die Anforderungen sehr hoch: „Die universitäre Ausbildung in Statistik ist in der Regel für die praktische statistische Arbeit in statistischen Ämtern nicht ausreichend“, schreibt Zwick. Daher böten die meisten Ämter interne Weiterbildungen an – die sind allerdings kostspielig. Gegen den Nachwuchsmangel scheint die EU-Kommission gerade verstärkt anzugehen: Seit dem Jahr 2014 entwickelt sie mit dem European Master in Official Statistics (EMOS) ein postgraduales, europaweites Master-Programm. An dem Netzwerk sind inzwischen Universitäten aus 14 EU-Ländern beteiligt.

Die Zukunftsaussichten für Statistiker sind also insgesamt glänzend, die Anwendungsgebiete vielfältig. Bleibt die Frage, ob sie irgendwann ersetzt werden – dann nämlich, wenn intelligente Maschinen selbst statistische Modelle entwickeln können. Darüber macht sich René Mathieu, 26 Jahre alt und Masterstudent in Dortmund, keine Sorgen. Er sieht Computer eher als Hilfsmittel. „Entscheidend ist immer die Frage, was ich eigentlich herausfinden will. Das kann man im Zweifel auch auf Papier machen.“

So sieht es auch Walter Krämer aus Dortmund: Auf Teilgebieten seien die Maschinen überlegen, vor allem, wenn es darum gehe, „die Nadel im Heuhaufen zu finden“. Dort also, wo es gilt, in riesigen Datenmengen minimale, statistisch relevante Abweichungen zu finden. „Aber es bleibt dabei: In den Anwendungen wie der Arzneimittelforschung oder der Wetterprognose geht es vor allem um ein gutes Modell. Und das kann der Mensch jetzt und auf absehbare Zeit immer noch besser“, sagt Krämer.

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