Neuer Trend: Förderung der Mitarbeitergesundheit

Viele Betriebe wollen etwas für die Gesundheit der Mitarbeiter tun. Mit kleinen elektronischen Helfern wird das nun einfacher. Aber Fitness-Wettbewerbe unter Kollegen haben auch Schattenseiten.

Seit Birgit Sundermeier bei ihrem neuen Arbeitgeber beschäftigt ist, hat sie fast 10 Kilo abgenommen. Sie geht möglichst dreimal die Woche ins Fitness-Studio. Sie hat ihr „metabolisches Alter“ bestimmen und ihre Wirbelsäule vermessen lassen, einen Rückenschulkurs gemacht und ein Haut-Screening ihrer Muttermale. Sogar Stuhlproben hat sie genommen und eingeschickt – zur Darmkrebsvorsorge.

Birgit Sundermeier hat weder panische Angst vor Krankheiten, noch hat sie bislang schlechte Erfahrungen in Gesundheitsdingen gemacht. Im Gegenteil. Sie gibt zu Protokoll „noch nie so richtig ernsthaft krank gewesen zu sein“. Vielmehr hat sich die Geschäftsführungsassistentin von „diesem Hype“ erfassen lassen, der in ihrem Unternehmen rapide um sich gegriffen hat: 29 ihrer 31 Kollegen bei der „SMV Sitz- und Objektmöbel GmbH“ betreiben ähnlich viel und ähnlich aufwendige Gesundheitsvorsorge. „Voll cool“ findet das Sundermeier.

Angefangen hatte alles mit mehreren Schrittzähl-Challenges unter den Kollegen. Erst registrierten kleine Fitness-Tracker, die am Hosengürtel getragen wurden, später Fitness-Armbänder fürs Handgelenk über einige Wochen, wer wie viel lief – während der Arbeit und außerhalb. Die Teilnahme war freiwillig, die Chefin erfuhr zwar, wer mitmachte und wer nicht, aber nicht, wer wie viele Schritte ging. Das erfasste ein Tool der kooperierenden Krankenkasse, die am Ende auch den Sieger bekanntgab und ihm eine Prämie schenkte. Einmal gab’s Wellnessgutscheine für ein Thermalbad, ein anderes Mal ein besonders ausgefeiltes Fitness-Armband.

Schuld an dem „Hype“ ist die Chefin, Inge Brünger-Mylius. Seit nun 22 Jahren ist sie Inhaberin und Geschäftsleiterin des 32 Mitarbeiter zählenden Unternehmens im nordrhein-westfälischen Löhne. SMV vertreibt vor allem Stühle, Sessel und Sofas, häufig für die Ausstattung von Konferenzräumen. Die Angestellten haben – abgesehen von einigen wenigen Lagerarbeitern – alle Bürojobs. „Das heißt im Prinzip: Sitzen, rund um die Uhr“, sagt Brünger-Mylius. „Es sei denn, man tut gezielt etwas dagegen.“

Das tut sie – und liegt damit im Trend. Unternehmen sorgen sich mehr und mehr um die Gesundheit und sportliche Fitness ihrer Mitarbeiter. Das Kalkül dahinter: Wer gesund lebt, wird seltener krank und fehlt somit auch seltener am Arbeitsplatz. Krankheitsbedingte Ausfälle sind schließlich teuer für den Arbeitgeber. Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Schon lange gibt es arbeitgeberfinanzierte Grippeimpfungen, Massagen, Fitnessstudio-Subventionen und vieles mehr. Neu ist aber, dass bei der Gesundheitsvorsorge in Unternehmen immer häufiger kleine elektronische Hilfsmittel, sogenannte Wearables, zum Einsatz kommen. In dem Gewerbegebiet, in dem Birgit Sundermeier arbeitet, beteiligen sich mittlerweile viele Nachbarfirmen an der „Schrittzähl-Challenge“ – kaum denkbar ohne die kleinen, praktischen elektronischen Helfer, die jeder ständig bei sich führen kann, um seine Fitness-Daten zu erfassen.

Anderswo gehen die Challenges noch weiter: Der amerikanische Krankenversicherer Aetna zahlt seinen Mitarbeitern einen Bonus von 25 Dollar, wenn sie nachweisen können, dass sie 20 Nächte in Folge sieben Stunden oder länger geschlafen haben – bis zu 500 Dollar im Jahr gibt es maximal. Den Nachweis erbringen die Kollegen auch hier über Fitness-Tracker. Elektronische Fitness-Armbänder können nämlich auch messen, wann jemand schläft und wann er wach ist.

Mittlerweile gibt es sogar schon ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Gesundheits-Challenges für Unternehmen auszurichten, so dass die Chefs kaum noch etwas organisieren müssen: Der Anbieter „Virgin Pulse“ verkauft vorgefertigte Challenge-Programme, die nur mit Hilfe von Wearables funktionieren. Arbeitnehmer treten in Siebenergruppen gegeneinander an und laufen, schlafen oder entspannen um die Wette. Das Konzept ist einfach: Der innere Schweinehund überwindet sich leichter, wenn die Ergebnisse ständig sichtbar und andere von den eigenen Ergebnissen abhängig sind. Zwar erfahren Kollegen und Chefs nichts über die individuellen Fitness-Leistungen eines Arbeitnehmers. Doch jeder will sich anstrengen, um die anderen nicht mit herunterzuziehen. Die Fitness-Armbänder laden zur ständigen Selbstkontrolle ein, die Gruppendynamik erledigt das Übrige. Auch viele deutsche Unternehmen haben schon angebissen und das Paket von Virgin Pulse gekauft, darunter bekannte Namen wie Siemens, Merck und Fraport.

„Während so eine Fitness-Challenge lief, bin ich im Arbeitsalltag immer nur die Treppe gegangen, anstatt den Fahrstuhl zu nehmen“, sagt Birgit Sundermeier. „Oder man schaut beim Kollegen im Büro vorbei, anstatt eine E-Mail zu schicken.“ Sundermeier und ihre Kollegen haben sich sogar noch mehr ins Zeug gelegt. „Wir haben uns in der Mittagspause zum Spazierengehen verabredet und in der Freizeit zum Wandern im Siebengebirge.“ Gewonnen hat am Ende eine Kollegin, die privat sehr viel joggt und außerdem einen Hund hat, den sie regelmäßig ausführen muss. „Aber wir alle haben unsere Schrittzahl richtig nach oben gebracht“, sagt Sundermeier. „Im normalen Büroalltag macht man so etwa 3000 Schritte am Tag. 6000 sollte man aber eigentlich mindestens laufen, erst ab 10 000 tut man etwas für die Gesundheit.“ Sundermeier, ihre Kollegen und die Mitarbeiter der Nachbarunternehmen haben durch die Wearables ihren Ehrgeiz entdeckt. „Das macht einfach riesigen Spaß“, fasst Sundermeier zusammen. „Wenn die Hälfte des Wettbewerbs vorbei ist, veröffentlichen wir immer, welcher unserer Mitarbeiter wo steht. Das spornt so richtig an.“

Datenschützern hingegen sträuben sich bei solchen Aktionen regelmäßig die Haare. Tim-Oliver Ritz etwa ist Datenschutzfachmann bei „Intersoft Consulting Services“, einem Beratungsunternehmen, das Unternehmen externe Datenschutzbeauftragte zur Verfügung stellt. „Wearables wie Schrittzähler oder Fitness-Armbänder sind in der Lage, höchst persönliche Gesundheitsdaten zu erfassen, die erst einmal nicht in die Hand von Arbeitgebern gehören“, sagt er. „Es sei denn, das geschieht freiwillig.“

Und das ist genau der Knackpunkt: Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen Daten natürlich nur dann bekommen, wenn der Mitarbeiter sie preisgibt. Das gilt etwa für den Lebenslauf, Angaben im Personalbogen – die Grunddaten. Sie sind für das Beschäftigungsverhältnis „erforderlich“, dürfen daher gemäß Bundesdatenschutzgesetz erhoben werden. Bei Gesundheitsdaten ist das oft etwas anderes. Selbst bei einer Tauglichkeitsüberprüfung durch den Arzt wandern Diagnosedaten nicht in die Hände des Arbeitgebers, sagt Marcus Kamp, Partner in der Kanzlei Fieldfisher in Düsseldorf. Mitgeteilt wird nur, ob der Kollege tauglich ist oder nicht, etwa wenn es um körperliche Arbeiten geht.

 

Gesundheitsdaten sind im Datenschutzrecht besonders geschützt, sie dürfen nicht auf dem Wege einer pauschalen Einwilligung eingesammelt würden. Es müsse genau mitgeteilt werden, welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden, sagt Kamp. „Wenn ich das als Arbeitgeber sauber vorbereite, geht das.“ Problematisch wird es jedoch, wenn aus der Datensammlung eine dauerhafte Kontrolle wird, wenn etwa Lagerarbeiter ständig durch Fitness-Armbänder überprüft werden. „Da ist fraglich, inwieweit der Betriebsrat überhaupt einwilligen kann.“ Da brauche es daher wohl eine individuelle Einwilligung des einzelnen Mitarbeiters. Verweigert er diese, dürfe es keine arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, sagt Kamp.

Allerdings: Wenn man sich als Einziger in einer Abteilung oder gar in einem ganzen Unternehmen querstellt, könnte es andere Konsequenzen geben. Viele Datenschützer sind daher kritisch – auch Ritz: „Man muss sehr genau prüfen, ob die Freiwilligkeit wirklich bei allen gegeben ist, die mitmachen“, sagt er. Denn es gebe immer eine gewisse Gefahr durch den Gruppendruck. „Der Chef sagt: Mach mit! Da bin ich doch geneigt, mitzumachen. Das ist schon eine gewisse Machtasymmetrie.“ In der Tat stellt sich die Frage: Was passiert, wenn eine Entlassungswelle kommt? Wird der rauchende und adipöse Mitarbeiter, der die Gesundheitsprogramme verweigert, nicht automatisch das Gefühl bekommen, eher auf der Abschussliste zu stehen als der Fitness-Challenge-Gewinner?

Fehlt die rechtlich notwendige „Freiwilligkeit“, ist die Einwilligungserklärung zum Gesundheitsdatensammeln unwirksam. Die Daten dürfen dann nicht verarbeitet werden, sonst begeht der Arbeitgeber „schlimmstenfalls“ eine Ordnungswidrigkeit, sagt Rechtsanwalt Kamp – die kann bis zu 300 000 Euro kosten. Wenn das EU-Datenschutzrecht in Kraft tritt, kann es sogar noch teurer werden. Außerdem können Datenschutzbeauftragte Unternehmen in ihren Bericht aufnehmen. Dann droht ein Reputationsschaden.

Datenschützer Ritz gibt noch einen Punkt zu bedenken: „Viele elektronische Gadgets können heute schon deutlich mehr messen als bloß das, was für die Unternehmens-Challenges verwendet wird.“ Den Herzschlag zum Beispiel oder die Körpertemperatur. Zufallsfunde würden möglich. Arbeitnehmer könnten plötzlich Dinge über sich selbst erfahren, die sie eigentlich nie wissen wollten. Das gilt auch für Messungen mit anderen elektronischen Geräten, wie etwa metabolische Waagen. „Als ich dort drauf war, habe ich feststellen müssen, dass mein metabolisches Alter kurz vor der Rente steht“, sagt Birgit Sundermeier, die sich im Büro an einer entsprechenden Messung beteiligt hat. Eigentlich ist sie erst 46. Sundermeier nahm es als Ansporn, trainierte und speckte ab. „Solche Befunde können für manchen aber auch zur ernsthaften psychischen Belastung werden“, sagt Datenschützer Ritz. Ob der Gesundheitseffekt dann am Ende positiv oder negativ sei, bleibe dahingestellt. Hinzu komme: „Wo ein Mehr an Daten erhoben wird, sind diese Daten erst einmal da, und dadurch bietet sich natürlich auch die Chance für Missbrauch.“

Damit dieser entdeckt wird, müssten die Behörden natürlich überhaupt erst davon Wind bekommen. Das kann etwa durch einen „Whistleblower“ passieren, also einen anonymen Tippgeber. Das kann jeder Angestellte machen – ebenso kann jeder mit dem Betriebsrat sprechen. Und was ist, wenn die Rekorde beim Tischfußball oder beim Firmenbowling erfasst werden? „Freizeitveranstaltungen sind nicht so kritisch“, sagt Rechtsanwalt Kamp. Da sei das, was streng genommen auch eine Verarbeitung personenbezogener Daten sei, durchaus üblich. „Streng genommen müsste ich aber auch dann Genehmigungen eines jeden einzelnen Arbeitnehmers einholen.“

Im Datenschutz liegen Theorie und Praxis nun einmal oft sehr weit auseinander. Das zeigt auch die fast unbedarft wirkende Gutgläubigkeit der Unternehmenschefin Brünger-Mylius: Sie wolle auf keinen Fall jemanden übermäßig kontrollieren. „Ganz im Gegenteil!“ Wie zum Beweis geht sie jeden Samstag auf den Wochenmarkt und kauft für die gesamte Mannschaft frisches Obst. „Ich möchte einfach nur, dass es allen möglichst gutgeht.“

Von Nadine Bös und Hendrik Wieduwilt

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