Studieren in Metropolen (1): New York

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Wie wäre es mit einem Studium in New York? Oder Paris, London, Schanghai?

Korrespondenten der F.A.Z. haben die Hochschulszene in vier der aufregendsten Städte der Welt beleuchtet. Eine Serie über große Unterschiede, aber auch große Möglichkeiten. Zum Auftakt: New York.

„Gute Arbeit. Großartig!“

Von Roland Lindner

Noshad Irshad wollte schon immer nach New York. „Es war ein Kindheitstraum von mir“, sagt der 27 Jahre alte gebürtige Hamburger. Er wuchs auf mit dem Bild von New York als der Stadt, die in vielen Filmen vorkommt, die niemals schläft und in der man alles erreichen kann. Auch den 25 Jahre alten Jan Bastel, der aus einem kleinen Ort in der Nähe von Heilbronn stammt, fasziniert New York schon lange. Bastel hat Musical studiert, ihn reizt vor allem die riesige Theaterszene der Stadt mit den großen Broadway-Spektakeln und etlichen kleineren Bühnen. Die zwei Deutschen haben sich ihren Traum erfüllt und studieren heute in New York, Irshad ist an der Columbia University, Bastel an der Steinhardt School der New York University. Beide können sich sogar vorstellen, nach Abschluss ihres Studiums in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Aber sie haben seit ihrer Ankunft auch gelernt, dass Leben und Studieren in der New Yorker Glitzerwelt nicht immer leicht ist und seine Tücken haben kann. „Es ist nicht immer alles rosig“, sagt Bastel.

Irshad und Bastel sind zwei Beispiele aus einer großen Zahl von Deutschen, die es jedes Jahr nach New York und in andere amerikanische Regionen zieht. Mehr als 10 000 deutsche Studenten gab es im vergangenen Jahr nach Angaben des Institute of International Education in den Vereinigten Staaten. New York ist die mit Abstand beliebteste Anlaufstelle. Beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Auslandsstipendien an Studenten vergibt, entfielen im vergangenen Jahr 111 der insgesamt 700 Bewerbungen für Amerika auf New York. Mit großem Abstand dahinter folgen Boston und die Universitätsstadt Berkeley in der Nähe von San Francisco. Von allen Bewerbern wurden 286 Studenten gefördert, davon 44 in New York. Die meisten Deutschen landen an der Columbia oder der New York University. Beides sind renommierte Universitäten, wobei nur Columbia zur sogenannten Ivy League von Elitehochschulen gehört, in der auch so klangvolle Namen wie Harvard und Yale vertreten sind.

„Viele finden es einfach cool, in New York zu studieren“, sagt Nina Lemmens, die das DAAD-Büro in der amerikanischen Metropole führt. Auch die hohe Universitätsdichte sei ein Pluspunkt für die Stadt, ebenso wie der Umstand, dass New York von Deutschland aus schneller zu erreichen sei als etwa Kalifornien an der Westküste. Die Wahl des Studienortes hängt nach Beobachtung von Lemmens aber auch vom Fachgebiet ab. New York als kulturelles Zentrum sei besonders beliebt in künstlerischen Fächern. Angehende Ingenieure oder Informatiker ziehe es dagegen häufiger nach Kalifornien, der Heimat der Technologiehochburg Silicon Valley. Das erhöhe auch die Chancen, Kontakte zu möglichen künftigen Arbeitgebern zu knüpfen.

Die 24 Jahre alte Sarah Reitz, die aus der Nähe von Frankfurt kommt, ist seit eineinhalb Jahren in der Stadt und studiert Psychologie an der Columbia University. Sie hat zuvor einen Bachelor-Abschluss in Bremen gemacht und wollte danach „raus aus Deutschland und raus aus Europa“. Ihr gefällt, dass New York ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Charaktere ist. Und sie mag die hiesige Aufgeschlossenheit der Menschen, die es viel leichter mache, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Sie findet, es gibt heute noch immer viel zu wenige Studenten in Deutschland, die ins Ausland gehen. „Viele trauen sich nicht so richtig.“ Sie hofft, dass ihre New Yorker Zeit hinterher auch im Beruf honoriert wird. Denn: „Das zeigt, dass ich offen bin.“

Für Noshad Irshad ging es bei der Entscheidung für ein Studium in Amerika um mehr als seinen Kindheitstraum. Er hat zuvor Wirtschaftswissenschaften in Reutlingen studiert und wollte sich danach auf Energiemanagement spezialisieren, vermisste dafür aber geeignete Angebote an deutschen Hochschulen. Stattdessen schrieb er sich an der Columbia University ein, und zwischenzeitlich hat er auch Kurse in Harvard belegt. Musicalstudent Bastel hatte eigentlich schon in Deutschland gute Perspektiven. Er studierte an der Folkwang Universität der Künste in Essen, die jährlich nur sechs Studierende aufnimmt und deren Absolventen nach seinen Worten recht leicht Engagements bekommen. „Ich hatte einige Angebote in Deutschland, wollte aber auf Risiko gehen“, sagt er über seine Entscheidung, ein Studium in New York dranzuhängen. Bastel hält New York für ein interessanteres Musicalpflaster: „In Deutschland wird oft nur kopiert, was am Broadway läuft. Hier ist man experimenteller, und ich sitze an der Quelle.“

Die wohl größte Herausforderung eines Studiums in New York ist das Geld. „Hier ist einfach alles sehr, sehr teuer. Das ist wie eine dunkle Wolke, die über einem hängt“, sagt Sarah Reitz. Das fängt beim Wohnen an und geht beim Einkaufen weiter. Reitz zahlt 1200 Dollar für ihr Zimmer in einer WG. „Und das ist eine alte Wohnung.“ Im Supermarkt stellt sie immer wieder mit Schrecken fest, wie schnell mehr als 50 Dollar zusammenkommen. „Man merkt hier erst, wie billig Lebensmittel in Deutschland sind.“ Typische New Yorker Erlebnisse wie Theaterbesuche sind für sie ein Luxus. Um sich so etwas wenigstens ab und zu gönnen zu können, spart sie an Dingen des täglichen Bedarfs. Ohne Stipendien vom DAAD und vom Fulbright-Programm könnte sie ihren Aufenthalt nicht finanzieren. Nebenbei hat sie einen Assistenzjob an der Universität, aber das sei „eher Taschengeld“.

Der DAAD zahlt seinen Stipendiaten bis zu 18 000 Euro als Zuschuss für die in einem Jahr anfallenden Studiengebühren. Dazu kommen mindestens 925 Euro im Monat für Lebenshaltungskosten sowie eine Reisepauschale und Krankenversicherung. Insgesamt hat ein Jahresstipendium nach Angaben von Büroleiterin Lemmens einen Wert von 30 000 Euro. Das reiche aber in vielen Fällen nicht aus, um den gesamten Studienaufenthalt in New York zu finanzieren. Der im Vergleich zum Dollar gefallene Eurokurs verschärfe die Lage im Moment noch weiter. Wie Lemmens erzählt, kommt es bisweilen vor, dass deutsche Studenten erst nach der Zusage für ein DAAD-Stipendium realisieren, dass sie sich das Studium in New York trotz Zuschuss nicht leisten können. In dem Fall würden Studenten oft an Universitäten in billigeren Regionen weitervermittelt. So sei es zum Beispiel im vergangenen Jahr mit einer Studentin geschehen, die erst für New York vorgesehen war, aber dann in der kanadischen Metropole Toronto landete.

Gerade weil das Leben in New York so teuer ist, findet es Noshad Irshad auffällig, dass die Stadt in vielerlei Hinsicht alles andere als glamourös ist. Er beobachtet das an schlecht isolierten Wohnungen, heruntergekommenen U-Bahnen oder dem trostlosen Fitnessraum an seiner Universität. „Verglichen mit manchen asiatischen Städten kommt einem New York recht wenig entwickelt vor.“

Jenseits von Geldsorgen machen deutsche Studenten auch die Erfahrung, dass ihnen Mentalitätsunterschiede zu den Amerikanern im Universitätsalltag Anpassungsfähigkeit abverlangen. Noshad Irshad meint: „Amerikaner melden sich im Unterricht immer gleich und reden drauflos. Wir denken erst mal über etwas nach und nehmen uns mehr zurück, vielleicht auch, weil wir fürchten, etwas Falsches zu sagen.“ Jan Bastel findet, in dieser Hinsicht könnten sich Deutsche eine Scheibe von Amerikanern abschneiden: „Wir analysieren viel und stehen uns damit oft selbst im Weg. Wir sollten manchmal einfach machen.“ Amerikaner hätten weniger Angst zu scheitern. „Die fallen hin, aber dann stehen sie eben auch schnell wieder auf.“

Deutsche Studenten stellen auch fest, dass sie sich bisweilen mehr Arbeit machen als ihre amerikanischen Kommilitonen. „Ich war am Anfang fast etwas überengagiert“, sagt Sarah Reitz. Auch Noshad Irshad meinte zuerst, er müsste in Amerika besonders eifrig sein, kam aber dann zu dem Schluss, dass man auch ohne übertriebenen Aufwand gute Noten erreichen kann. „Ich habe mittlerweile eine ganz gute Work-Life-Balance und habe genug Zeit, abends Freunde zu treffen“, sagt er.

In New York hat Irshad ein etwas anderes Verständnis von Freundschaften erfahren, als er es aus Deutschland kennt. Amerikaner seien zwar sehr offen und freundlich, ließen sich aber nicht so leicht auf „tiefgründige Freundschaften“ ein, wie er sie in seiner Heimat gewohnt war. „Da fragt man sich dann manchmal: Ist das jetzt wirklich als Verabredung gemeint? Soll ich wirklich vorbeikommen?“ Bisweilen überlege er auch, wie ernst Professoren es mit ihren Beurteilungen meinen: „Man bekommt immer gesagt: ,Gute Arbeit. Großartig!‘ In Deutschland wirkt das Feedback direkter, und man hört auch öfter Dinge, die nicht so gut sind.“

Irshad hofft, dass ihm sein Studium in New York die Tür öffnet, einmal in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Auf lange Sicht sieht er seine Zukunft aber doch in seiner Heimat. „Ich bin kurzfristig für alles offen, aber in Deutschland gefällt mir vieles doch besser.“ Aber auch dann wird es ihm nach seiner Einschätzung nützen, dass positive amerikanische Eigenschaften auf ihn abgefärbt haben. Zum Beispiel sich viel zuzutrauen und sein Denken nicht zu limitieren, also die berühmte amerikanische „Can Do“-Einstellung. So stellt sich das auch Sarah Reitz vor: „Ich würde gerne die amerikanische Fähigkeit zu träumen nach Deutschland zurückbringen.“

 

New York: Pralles Leben

New Yorker Gratisattraktionen: High Line, Central Park, Fähren nach Staten Island und (im Sommer) Governors Island, Gratiskonzerte von New York Philharmonic und Metropolitan Opera sowie Freilichtkino in diversen Parks der Stadt im Sommer, die spektakuläre Cathedral of Saint John the Divine, kostenlose Hot Dogs in der Kultbar Rudy’s in Hell’s Kitchen.
Unbedingt vermeiden: Langsam sein. New Yorker sind freundlicher als ihr Ruf, aber gehetzt. Langsame Fußgänger sind ihnen ein Greuel, besonders am Times Square.

Oasis: Das Viertel Williamsburg im Stadtteil Brooklyn wird immer hipper und teurer. Aber dieses kleine orientalische Lokal direkt an der U-Bahn-Station Bedford Avenue trotzt den rapiden Veränderungen. Hier gibt es Falafel und Schawarma zu sehr erschwinglichen Preisen, und es trifft sich ein kunterbuntes Publikum.

Zum Schneider: In New York gibt es immer mehr deutsche Restaurants, aber dieses Lokal im East Village bleibt eine beliebte Anlaufstelle. Deutsche, die in New York das Heimweh plagt, finden hier ein rustikales Ambiente, eine große Bierkarte und eine solide Küche mit Bratwürsten, Käsespätzle und Schweinshaxe. Es werden deutsche Bräuche wie Adventssingen und Karneval gepflegt, und bei Europa- und Weltmeisterschaften wird das Lokal zur Hochburg für die deutschen Fußballfans.

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