Streber mit Schwächen
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Das duale Studium gilt als Perle der deutschen Hochschullandschaft. Doch die Kombination aus Berufsausbildung und Studium ist nicht perfekt.
Von Deike Uhtenwoldt
Berufserfahrung, eine duale Ausbildung mit Zusatzqualifikation, ein Studienabschluss – und alles parallel in gerade mal vier Jahren, wie soll das gehen? Bei Niklas Arndt wird das gehen, davon ist der 21-Jährige überzeugt. Nach seinem Abitur hat er bei dem Hamburger Unternehmen Meyle AG, einem Produzenten für Autoersatzteile, eine Ausbildung zum Betriebswirt im Außenhandel begonnen. Die Doppelqualifizierung verbindet die klassische duale Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann mit Grundlagen in Wirtschaft, Recht und Personalwesen: Wissen für zukünftige Führungskräfte, das auch auf ein Studium angerechnet werden kann. Dafür hat Niklas Arndts Berufsschule Kooperationen mit fünf privaten Hochschulen abgeschlossen, etwa mit der Novi Fachhochschule in Utrecht. „Da will ich den Bachelor berufsbegleitend machen“, sagt Arndt. Damit liegt er im Trend. Denn ein duales Studium gilt als vorbildlich praxisorientiert, als aussichtsreich, ja als besonderes Qualitätsmerkmal der deutschen Hochschullandschaft. Das Lob nimmt gar kein Ende mehr.
Wenn alles glatt läuft, absolviert der angehende Betriebswirt im kommenden Jahr zwei berufliche Prüfungen und im Folgejahr die akademischen. Es ist der schnellste Weg zum Hochschulabschluss, der die Beschäftigungsfähigkeit untermauern soll, aber dann doch kein duales Studium, wie Arndt sagt: „Die Inhalte im Studium sind nicht auf den Betrieb zugeschnitten.“ Dabei war gerade die starke Verzahnung zwischen Theorie und Praxis für ihn ausschlaggebend, sich für eine duale Ausbildung zu entscheiden. „Ich habe aktuell zwei feste Schultage, bin ansonsten im Unternehmen und kann auch längerfristige Projekte übernehmen, das ist in einem dualen Studium viel schwieriger.“ Auch während des Bachelorstudiums will Arndt aber im Unternehmen tätig bleiben, die Kombination aus Wochenendseminaren, Tutorials, Skype und Mail macht es möglich.
Ein Bachelor zum Mitnehmen also? Schon vor vier Jahren hat sich der Wissenschaftsrat mit seinen „Empfehlungen zur Entwicklung des dualen Studiums“ gegen den Trend zu verkürzten Studiengängen nach der Devise „Je schneller, desto besser“ gewehrt: „Es muss noch möglich sein, die Theorie in die Praxis zu transferieren und das Handeln zu reflektieren“, sagt Laura Gersch, Referentin im Bereich Tertiäre Bildung. Zum wissenschaftlichen Anspruch eines Hochschulstudiums gehörten ein Mindestanteil am akademischen Lernort, ein angemessener zeitlicher Rahmen sowie qualifiziertes Personal. „Und das sollte bei einem dualen Studium möglichst nicht der Lehrbeauftragte aus der Praxis sein, sondern eher der Wissenschaftler und Forscher.“
Vor allem brachte der Wissenschaftsrat ein wenig System ins Durcheinander, denn er stellte klar: Dual ist nur, was Praxis und Theorie tatsächlich miteinander verzahnt. Das gilt zum Beispiel für ein ausbildungsintegrierendes Studium der Sozialen Pflege, wenn die ganze Kohorte gleichzeitig und alternierend an der Fachhochschule und im Krankenhaus beim jeweiligen Arbeitgeber tätig ist. Das gilt nicht für eine begleitende Ausbildung zum Elektroniker, die in der vorlesungsfreien Zeit absolviert wird, während im Semester die Vorlesungen der Elektrotechnik gemeinsam mit den regulären Studierenden besucht werden und mancher Hochschullehrer nicht mal weiß, dass er auch duale Studierende unterrichtet. „Das habe ich tatsächlich schon erlebt“, sagt Sirikit Krone, Wissenschaftlerin im Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen.
Die Soziologin verfolgt die Entwicklung des dualen Studiums in Deutschland seit zehn Jahren und vermisst einheitliche Standards und amtliche Daten: „Jede Kuh im Münsterland wird gezählt, aber die dualen Studiengänge nicht“, sagt sie. Die sichersten Zahlen habe das Bundesinstitut für Berufsbildung, es rechne mit knapp 100 000 dual Studierenden. Ein Zehntel davon hat das Institut für Arbeit und Qualifikation befragt und eine sehr leistungsorientierte, hochmotivierte Zielgruppe gefunden. „Die sind sowohl mit dem Studium als auch mit der beruflichen Ausbildung sehr zufrieden“, fasst Krone den Stand unterschiedlicher Studien zusammen.
Die Abbruchquoten sind gering, die Übernahmequoten hoch, die Karriereperspektiven rosig. Doch es gibt auch Kritik: „Das Hauptproblem aus Sicht der Studierenden ist die nach wie vor schlechte Verknüpfung der beiden Ausbildungen, aber auch vertragliche Unsicherheiten“, sagt sie. Gerade praxisintegrierende Formen bewegten sich in einer Grauzone: Die Studierenden haben keinen Ausbildungsvertrag, ihr rechtlicher Status ähnelt dem von Praktikanten, Arbeitsbedingungen, Urlaub und Gehalt werden eher individuell ausgehandelt. Das führt dann manchmal dazu, dass die Studierenden an der Hochschule eine Klausur schreiben müssen, obwohl sie gerade im Betrieb eingebunden sind.
Doch diese Probleme lassen sich lösen: „Es gibt gute Beispiele“, sagt Sirikit Krone. Und zwar durch die Einrichtung eines Beirats, der alle Beteiligten – von den Hochschulen bis zu den Berufsschulen – bei der Konzeption oder auch der Ausformulierung von Musterverträgen an einen Tisch bringt. „Nur so lassen sich Synergieeffekte herstellen, weil die Inhalte aufeinander abgestimmt werden“, sagt sie. Die Sozialwissenschaftlerin kennt aber auch andersgeartete Beispiele, etwa wenn Unternehmen duale Studiengänge ohne weitere Absprachen mit der Hochschule anbieten – „einfach weil das sehr beliebt ist bei den jungen Menschen und die Unternehmen den guten Nachwuchs an sich binden wollen“. Um dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten, reichten Empfehlungen, wie die vom Wissenschaftsrat, nicht mehr aus. Gesetzliche Grundlagen müssten her. „Ich bin zuversichtlich, dass es mit der neuen Bundesregierung klappen wird“, sagt sie.
Das duale Studium ist allerdings trotz diverser Grauzonen ein Erfolgsmodell – und das liegt auch an dem Organisationstalent und der Leistungsbereitschaft der Studierenden. „Ihre große Begeisterung und hohe Stressresistenz sind bemerkenswert“, sagt Sirikit Krone. In Gruppendiskussionen hat die promovierte Sozialwissenschaftlerin junge Menschen kennengelernt, die bereit waren, für eine hohe Jobsicherheit und gute Karriereaussichten viele Einschränkungen in Kauf zu nehmen – etwa über einen langen Zeitraum auf Urlaub und Freizeit zu verzichten. Allerdings seien manche der Zielvorstellungen auch weltfremd: „Personalverantwortung mit Anfang 20 zu übernehmen, das ist zumindest bei größeren Betrieben nicht vorgesehen, da geht es um Projektverantwortung.“
Noch ein weiterer Aspekt hat sie bei ihren Untersuchungen verwundert: „Das duale Studium ist eine rein deutsche Veranstaltung, Migrantenkinder bleiben außen vor.“ Für den Wissenschaftsrat ist das eines der Probleme, die zukünftig angegangen werden müssen: „Die Unternehmen wählen die Studierenden allein aus“, sagt Laura Gersch. Ein Nadelöhr, bei dem mehr Diversität und weniger Stromlinienförmigkeit gefragt seien. Vor vier Jahren hatte der Wissenschaftsrat noch für die Öffnung des Modells für neue Fächer und Berufsfelder im Gesundheits- und Sozialwesen oder bei den Geisteswissenschaftlern plädiert. Heute macht sich allerdings Skepsis breit, weil auf diesen Feldern die Führungspositionen und guten Bezahlungen im Anschluss an das Studium ausbleiben.
Während nämlich die doppelt qualifizierten Techniker nach ihrem Studium nicht mehr an der Werkbank stehen, sondern oft in die Forschung und Entwicklung gehen, machen studierte Erzieher oder Pfleger genau das, was ihre nichtakademischen Kollegen auch tun: Kleinkinder beaufsichtigen oder Kranke und Alte pflegen. „Das ist die unzufriedenste Gruppe nach dem Studium“, sagt Sirikit Krone. „Es könnte sein, dass in dem Bereich die Entwicklung auch wieder zurückgeht.“
Doch der Run auf die dualen Studiengänge bleibt ungebrochen. Gerade Schulabgänger, deren Eltern nicht studiert haben, versprechen sich davon schnellere finanzielle Unabhängigkeit, Beschäftigungssicherheit und Anerkennung, vor allem im Betrieb der Ausbilder selbst. „Meine Generation zieht in der Regel das duale Studium einer dualen Ausbildung vor“, sagt auch Niklas Arndt. Das ruft wiederum Berufsschulen, Fachhochschulen und Unternehmen mit immer neuen Optionen auf den Plan. Gewerkschafter befürchten schon den Ausverkauf der dualen Ausbildung und fordern, das duale Studium mit ins Bundesbildungsgesetz aufzunehmen. Solange das noch nicht der Fall ist, müssen Interessenten genau hinsehen und zum Beispiel zwischen ausbildungsbegleitenden und praxisintegrierenden Modellen unterscheiden. Es ist eben nicht alles dual, was sich so nennt.
Wichtige Fragen vor dem dualen Studium
Mehrere Fragen sollten sich Interessenten stellen, bevor sie sich für ein duales Studium entscheiden:
1. Was für ein Typ bin ich? Wer schnell aufsteigen und Karriere machen oder viel Geld verdienen will, der könnte im dualen Studium richtig sein. Zumindest wenn auch Disziplin, Leistungsbereitschaft und die Fähigkeit, sich und den Alltag selbst zu organisieren, vorhanden sind. Wer dagegen wissenschaftlich ambitioniert ist, vertiefende Studien in der Bibliothek mag oder unbedingt promovieren will, der ist im dualen Studium eher fehl am Platz.
2. Will ich mich für die nächsten Jahre binden oder lieber im Studium auch mal jenseits von Pflichtveranstaltungen den Horizont erweitern? Auch wenn Bindungsklauseln nicht gültig sind, kann das Unternehmen eine Rückzahlung der gezahlten Studiengebühren verlangen, wenn der Absolvent das Unternehmen nach dem Bachelor verlässt. Ein Masterstudium im Anschluss ist häufig möglich, wird aber nicht immer unterstützt und auch nicht überall gern gesehen.
3. Um was für eine Art duales Studium handelt es sich, und wie ist es organisiert? Gibt es Musterverträge und Mindestbedingungen, oder basiert es auf individuellen Absprachen? Es lohnt sich, rechtzeitig Studienberatungen an den Hochschulen oder auch Gewerkschaften aufzusuchen und zu befragen, bevor man sich bei den Unternehmen bewirbt. Da die Schulabsolventen bei der Bewerbung meistens noch sehr jung und die Eltern ihre Hauptinformationsquelle sind, sollten diese sich intensiver mit dem Thema befassen, das sie in der Regel nicht aus eigener Anschauung kennen.
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