Studieren in internationalen Metropolen: Paris

Eine widersprüchliche Weltstadt: Die oft niedrigen Gebühren machen ein Studium in Paris attraktiv. Allerdings ist das Leben abseits des Campus kostspielig. Und werden ausländische Studenten die Stadt nach den Terroranschlägen meiden?

So günstig – und doch so teuer

Von Christian Schubert

Die einen marschieren am 14. Juli in Uniform und mit Säbel die Champs-Elysées herunter, die anderen demonstrieren gegen mangelhafte Ausstattung, gestrichene Kurse oder niedrige Gehälter der Universitäts-Angestellten: Student sein in Paris – das kann so unterschiedlich sein wie Baguette und Schwarzbrot. Am einen Ende der Skala findet man die Studenten der traditionsreichen, extrem selektiven und dem Verteidigungsministerium unterstellten École Polytechnique, die einen Spitzenjob so gut wie sicher haben. Einen ganz anderen Charakter hat auf der anderen Seite etwa die Universität Paris 8, die in der sozialen Brennpunktvorstadt Saint-Denis liegt und als politisch links stehend gilt. Ihre Professoren protestierten im vergangenen Jahr öffentlich dagegen, dass häufig Computer und DVD-Geräte gestohlen werden, Steckdosen keinen Strom haben, Lichtschalter kaputt sind und Leinwände mutwillig zerstört werden.

Und dennoch: Paris gilt als eine der beliebtesten Studentenstädte der Welt. Die britische Beratungsgesellschaft Quacquarelli Symonds (QS) bewertet die Seine-Metropole in einem Ranking von 75 Großstädten als „beste Studentenstadt der Welt“ – und das seit vier Jahren nacheinander. In die Untersuchung fließt ein Bündel von Kriterien ein, etwa die Zahl der Universitäten (im Fall von Paris 18), Höhe der Studiengebühren, Sicherheit der Stadt, Anteil ausländischer Studenten, Akzeptanz von Ausländern, Jobaussichten, Kulturangebote, Umweltverschmutzung, Korruption, Lebenskosten. QS findet, dass die hohen Lebenskosten in Paris durch die meist niedrigen Studiengebühren ausgeglichen würden – und schwärmt von den „Eliteuniversitäten und Spezialschulen, die wie ENS, École Polytechnique, ParisTech, Sciences Po, Université Paris-Sorbonne (Paris IV) und HEC einige der wichtigsten Philosophen, Theoretiker, Naturwissenschaftler, Politiker, Wirtschaftsführer und Mathematiker der vergangenen 100 Jahre hervorgebracht haben, zusammen mit bahnbrechenden Strömungen in Literatur, Film und Kunst“. Auch heute seien Abgänger der Pariser Universitäten bei Arbeitgebern begehrt, heißt es.

Andererseits: Ein im vergangenen September veröffentlichtes Ranking der Zeitschrift „L’Étudiant“ kam zu dem Schluss, dass es sich in Frankreich am besten in Toulouse studieren ließe, gefolgt von Grenoble, Montpellier, Bordeaux und Rennes. Paris taucht auf Rang 13 auf. Die Metropole schneidet besonders schlecht ab wegen der hohen Wohnkosten, der Qualität der Umwelt, des Transportwesens, der Möglichkeiten des Sporttreibens und der abendlichen Vergnügungen – Letzteres nicht wegen fehlender Auswahl, sondern wegen der hohen Preise dafür.

All diese Vergleiche hängen von der Gewichtung ihrer Einzelkriterien ab, die so subjektiv sind wie der Blick jedes Studenten auf eine beliebige Stadt. Wer viel Wert auf Forschung legt, beachtet häufig den international bekannten Vergleich der Universität Schanghai Jiao Tong, in dem meistens amerikanische Universitäten die Spitzenplätze belegen, etwa weil sie viel auf Englisch publizieren. Beste Pariser Einrichtung war dabei 2015 auf Rang 36 die Universität Pierre et Marie Curie, vor Paris-Sud (Rang 41) und Normale Sup (72).

Elite- gegenüber Massenuniversitäten, spezialisierte private Fachschulen gegenüber breit aufgestellten staatlichen Bildungsfabriken: In Paris ist die ganze Vielfalt des französischen Bildungswesens im Angebot, und sie zieht Jahr für Jahr Tausende ausländischer Studenten an. Rund 300 000 Ausländer studieren in Frankreich – 12 Prozent der Studentenbevölkerung. Im Großraum Paris mit seinen gut 12 Millionen Einwohnern wird der Anteil auf etwa 20 Prozent geschätzt.

Einer davon ist der Südkoreaner Hyunbeen Park, der in Filmwissenschaften einen Masterabschluss anstrebt. Nach den drei besten Merkmalen des Studentenlebens in Paris befragt, sagt er: „Kultur, Kultur, Kultur“, die für Studenten in Museen oder Kinos oft preislich vergünstigt werde. Außerdem rühmt er die Qualität seiner Professoren an der Universität Paris 3, die er jetzt direkt erleben könne, nachdem in seinen ersten Semestern in Straßburg die dortigen Professoren nur aus den Büchern der Pariser Kollegen zitiert hatten. All das gegen Studiengebühren, die, verglichen mit den Universitätskosten in seiner Heimat, „fast gegen null gehen“. Doch sein Lob für Paris hat Grenzen: Die Bürokratie sei mitunter ein Albtraum. Auf ein Dokument für ein Praktikum musste er sieben Monate warten, und sein Bachelor-Zeugnis vom vergangenen Mai sei heute noch nicht fertig. „Die Büros sind oft geschlossen, sie antworten nicht auf Anrufe oder Mails. Man muss immer wieder hingehen und Schlange stehen“, stöhnt er.

Und dann natürlich die hohen Lebenskosten – eine Klage, die fast jeder Student in Paris ohne Zögern mehrmals täglich führen kann. „Die Miete, der Strom, das Essen im Supermarkt, ein Bier in einer Bar, die Metro – alles ist teuer“, stöhnt Hyunbeen Park. Um eine Wohnung zu finden, probierte er es bei mehr als fünfzig Adressen. Studentenwohnheime sind knapp. Auf der Website locaviz.fr der staatlichen Studentenhilfsorganisation Crous finden sich derzeit für Paris ganze sieben Angebote; das günstigste ist eine kümmerlich möblierte Wohnung unterm Dach im 10. Arrondissement mit WC, Dusche und Kochzeile – alles auf ganzen 9 Quadratmetern für 525 Euro im Monat.

„Um von Paris durch und durch zu profitieren, muss man sehr reich sein“, meint Tiana Pirard, eine Jurastudentin im fünften Jahr. Erheblicher Stress sei die Folge. „Um einigermaßen zurechtzukommen, muss man arbeiten. Und daher muss man mit seiner Zeit und seinem Budget sorgfältig haushalten“, sagt sie. Dabei sind die meisten Studiengänge kein Spaziergang, die Professoren fordern viel: „Die Pariser Universitäten sind extrem anspruchsvoll.“ Die Deutsche Hannah Hinkelmann, die ein Auslandssemester an der Managementhochschule Essec studierte, empfand die Professoren als „sehr streng, das kann ziemlich nerven“. Viele Deutsche empfinden das System als verschult, fleißig mitschreiben und dabei nicht so viel mit den Professoren diskutieren, gilt als Überlebensregel. „Die meisten Profs waren gut und haben etwas rübergebracht, doch manchmal fühlte man sich mehr wie in der Schule als an der Uni“, sagt Hannah.

Und wieso tun sich das so viele trotzdem an? Wie bei allen Weltstädten ist der Coolness-Faktor nicht zu unterschätzen. Sein Leben in einer solchen Metropole trotz hoher Kosten und anderer Widrigkeiten zu bewältigen gilt als Ausweis von Überlebenskunst und Weltläufigkeit. Zudem sind das superbreite Kulturangebot sowie die Auswahl an Bars, Cafés, Restaurants und Klubs schwer zu übertreffen – auch wenn sie ihren Preis haben. Das Pariser Flair und die Nähe zu historischen Orten stimuliert ebenso. „Gegenüber vom Pantheon zu studieren, neben dem Gymnasium Louis Le Grand oder im historischen Gebäude der Sorbonne – das hat halt nicht jeder“, sagt Tiana Pirard. Befragt nach den größten Nachteilen an der Fakultät, nennt sie als Erstes „die Konkurrenz zwischen den Studenten“. Eine ihrer Freundinnen vermisst ebenfalls „die Solidarität an der Universität“. Beide haben im Jurastudium erlebt, dass Kommilitonen sich gegenseitig über Abgabefristen anlogen, denn gelegentlich sieben Universitäten aus, so dass nicht alle Studenten im nächsten Jahr weitermachen dürfen. Wenn ein Kommilitone da eine Frist verpasst, steigen die eigenen Chancen.

Gelegentlich ist von ausländischen Studenten auch die Klage zu hören, die Pariser gehörten nicht zu den freundlichsten Menschen auf Erden und blieben gerne unter sich. Dieser Eindruck mag mitunter stimmen, doch man sollte sich vergegenwärtigen, dass die Bewohner vieler Weltmetropolen im Ruf stehen, Neuankömmlingen erst mal die kalte Schulter zu zeigen. Eines ist dabei aber klar: Ohne Französischkenntnisse hat man es in Paris schwer, auch wenn die jungen Leute mehr Englisch sprechen als früher.

Die ausländischen Studenten in Paris kommen aus aller Herren Ländern. Nach einer Studie der französischen Regierung stammen die meisten – in dieser Reihenfolge – aus Marokko, China, Algerien, Tunesien und Italien. „Für viele dürfte der wichtigste Grund die niedrigsten Studiengebühren im Vergleich mit Universitäten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten sein“, sagt Marie-Caroline Missir, Redaktionsdirektorin bei „L’Étudiant“. Die QS-Studie gibt die durchschnittlichen Studentengebühren in Paris mit umgerechnet gut 2000 Euro im Jahr an, für London nennt sie dagegen19 600 Euro. Private Managementschulen können für ein Masterstudium in Paris allerdings auch rund 13 000 Euro im Jahr verlangen.

Und wie sicher ist die Stadt? Im Zentrum innerhalb des Autobahnrings Périphérique hält sich die Kriminalität insgesamt auf einem Niveau, das deutlich unter dem amerikanischer Großstädte liegen dürfte, auch wenn spätnachts bestimmt nicht alle Gegenden sicher sind. In den sozial angespannten Vorstädten ist die Lage allerdings schwieriger. Seit dem vergangenen Jahr ist das Image von Paris zudem von den Terroranschlägen eingetrübt. „In den Tagen nach dem 13. November sind wohl einige japanische und amerikanische Studenten abgereist“, berichtet Étienne Gless, Journalist bei der Zeitschrift „L’Étudiant“. Doch seither sei „wieder der Alltag eingezogen. Ob die Studentenzahlen zurückgehen, zeigt sich wohl erst zu Beginn des kommenden Wintersemesters.“

 

Pralles Leben

Der Canal Saint-Martin im 10. und 11. Arrondissement ist mit seinen idyllischen Brücken sowie den ausladenden Kastanienbäumen und Plantanen einer der schönsten Flecken von Paris – gerade für junge Leute. Im nahe gelegenen Belleville, wo sich seit jeher Künstlertypen mit Einwanderern mischen, wird es auch nicht langweilig.
Die Restaurant-Auswahl ist schwer überschaubar: Nach einer Zählung von 2014 werden in Paris täglich drei neue Restaurants eröffnet, während sechs schließen. Vor allem billig essen ist eine Herausforderung. Eine solche Nadel im Heuhaufen wäre etwa das kleine „Muraille du Phénix“ im 5. Arrondissement mit asiatischen Gerichten unter 10 Euro. Südwestfranzösische Küche findet man im „Chez Gladines“ am Boulevard Saint-German, wo das Schnitzel allerdings schon 13 Euro kostet. Nachts tragen beliebte „boîtes“ Namen wie „Batofar“ (ein Boot auf der Seine), „Badaboum“, „Nuba“ und „Wanderlust“. Das „Zero-Zero“ in der Rue Amelot mit wilden Graffiti im Inneren hat ebenfalls länger auf. Nicht weit davon locken in der Rue de la Roquette bei der Place de la Bastille viele weitere Bars.

Regeln für das Nachtleben gibt es fast keine, nur diese: das tote 16. Arrondissement meiden. Bei Heimweh gilt: Das „Café Titon“ im 11. bietet Currywurst, deutsches Bier und Fußballübertragungen.

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