Härtetest für die Bewerber

Assessment Center sind beliebt.

Von Eva Heidenfelder

Potentielle Mitarbeiter zu durchleuchten kann für Arbeitgeber teuer werden. Von manchen Kandidaten entsteht so ein verzerrtes Bild.

Zwei Tage auf einem Segelboot auf der Ostsee. Nach dem Abendessen mit einem kühlen Bier in der Hand in den Sonnenuntergang segeln. Gepflegte Gespräche mit anderen jungen Uni-Absolventen. Auf Du und Du mit der Führungsriege einer kleinen, aber feinen Unternehmensberatung. Was Jonas Ittel aus München bei seiner ersten Bewerbung erlebt hat, klingt traumhaft. Der 25 Jahre alte frischgebackene Master of Sciene entschied sich im Frühjahr 2014 nach dem Abschluss seines Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität in München, sich nicht nur in seinem ursprünglichen Metier zu bewerben. „Ich fand es spannend, in einem Bereich zu arbeiten, in dem ich direkten Kontakt zu den Kunden habe und sie berate, mit welchen Produkten ihr Bedarf am besten gedeckt wird.“

Nach einer schriftlichen Bewerbung und einem Telefonat lud ihn eine Beraterfirma zu einem zweitägigen Segeltörn ein, in dessen Verlauf unterschiedliche Tests zu den Fach- und Sozialkompetenzen der Bewerber gemacht werden sollten. „Assessment Center“ werden solche Tests genannt oder unter Personalmanagern kurz „AC“. Es gibt die Online- Variante, die meist der Vorauswahl geeigneter Kandidaten dient. Wer dann als Kandidat in die engere Wahl kommt, wird zu einem Präsenz-AC eingeladen. Dort finden nach einer Vorstellungsrunde häufig Gruppendiskussionen statt, weitere Elemente sind Fallstudien, Rollenspiele, Kompetenztests und eine Selbstpräsentation. Die Ergebnisse halten Beobachter in Bewertungsbögen fest, die anschließend ausgewertet werden.

Auch die zehn Teilnehmer des Segeltörns mit Jonas Ittel an Bord sollten in Kleingruppen ein Konzept zu einem selbstgewählten Thema erarbeiten und präsentieren. Ironischerweise entschied sich die Gruppe für die Frage „Wie kann man Assessment Center verbessern?“. Denn vor allem dem Ingenieur gefiel der zweitägige Segeltrip nicht besonders: „Ich fühlte mich wie ein Versuchskaninchen“, sagt er. Das Unternehmen hatte vor Beginn des Törns verraten, dass es der erste Versuch auf einem Boot sei.

Bis heute fragt sich Ittel, wie die fünf Berater, die mit an Bord waren, in dieser künstlichen Situation die Eignung der Bewerber umfassend beurteilt haben wollen. „Ich fühlte mich unwohl, war nicht ich selbst. Mir wurde auch gesagt, dass ich in Diskussionen viel zu still gewesen sei und unmotiviert gewirkt hätte.“ Umso erstaunter war er, als ihm sofort nach dem Törn eine Stelle als Berater angeboten wurde. Er sagte ab. „Durch das Assessment Center hatte ich den Eindruck, in diesem Unternehmen geht es mehr um das Wie, nicht um das Was.“

Das kann Nilgün Aygen bestätigen. Die Personalfachfrau ist beim Berater Profiles International als Geschäftsführerin für Deutschland, Österreich und Schweiz tätig. Sie sage ihren Kunden: „Die Methode ist zweitrangig.“ Viel wichtiger sei es, sich vor einem Bewerbungsverfahren zu überlegen, welche konkreten Informationen man über die Kandidaten wissen will, und die Methode entsprechend anzupassen – nicht umgekehrt. Dafür sei es unabdingbar, sich im Vorfeld ein klares Bild über das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle zu machen. „Viele Personalmanager haben aber nicht die Zeit, solch ein Profil zu erstellen“, sagt Aygen.

Stattdessen komme es in Mode, aufwendige und deshalb auch teure mehrtägige Tests zu inszenieren. Dabei würden meist pro forma alle Kompetenzen der vielversprechendsten Bewerber abgefragt, ohne eine tiefere Verbindung zu den später notwendigen Anforderungen der Stelle herzustellen. Wenn dann kein passender Kandidat gefunden werden könne oder sich nach einem halben Jahr der Erwählte als ungeeignet herausstellen würde, suche man die Antwort meist an anderer Stelle und vermeide es, die Methode des Auswahlverfahrens in Frage zu stellen.

Aygen wundert es nicht, wenn dabei der Erfolg ausbleibt. Es sei doch eher „eine Fahrt aufs Meer ohne Kompass“, wenn erst der Mensch analysiert werde und dann die Stelle, die zu besetzen sei. So würden in Assessment Centern etwa in Gruppenpräsentationen häufig Sozialkompetenzen abgefragt. Wenn auf der zu besetzenden Stelle aber hauptsächlich im Home Office gearbeitet werde, sei dies nicht zwingend nötig und ein Bewerber könne durchs Raster fallen, der für die Position die beste Wahl gewesen wäre.

Aygen betont zwar, dass ein Assessment Center der richtige Weg sein könne, die beste Besetzung für eine Stelle zu finden. Generell empfiehlt sie für Bewerbungsverfahren aber einen Methodenmix. Gewisse Verhaltensmerkmale, Interessen und Motivationen ließen sich in einem Online-Assessment abfragen. Danach könne der Arbeitgeber zu einem Bewerbungsgespräch oder sogar einem Probearbeiten einladen. In ihrem Unternehmen schätzt sie sogenannte Reverse-Interviews. Dabei lädt sie Bewerber, die schon in der engeren Wahl sind, für einen halben Tag in die Abteilung ein, in der sie arbeiten möchten, und lässt die Bewerber dann selbst ein Interview mit den potentiellen Kollegen über den Arbeitsplatz und die Unternehmenskultur führen.

Mit einer ähnlichen Vorgehensweise konnte der Dienstleister für Ingenieurbedarf Ferchau aus dem nordrhein-westfälischen Gummersbach Jonas Ittel schließlich im Sommer 2014 für sich gewinnen. Auch er organisierte zwar für eine Traineestelle im Vertrieb an seinem Münchner Standort ein Assessment Center, und auch das fand nicht im Unternehmen selbst, sondern in einem Hotel statt. Dennoch empfand es der Ingenieur als realitätsnäher als den Segeltörn.

In einem Rollenspiel musste Ittel zunächst seine Akquisekünste am Telefon und bei einem Ortstermin unter Beweis stellen. „Das war super, denn ich reagiere unter Stress authentischer und hatte den Eindruck, das galt auch für die anderen Bewerber.“ Zwischen Selbstpräsentation und Gruppendiskussion, die von einem Personaler der Firma und zwei Niederlassungsleitern beobachtet wurden, aßen alle gemeinsam zu Mittag, jeder konnte Fragen zur Firma stellen. „Der Eindruck, den ich von dem Unternehmen und den Aufgaben gewonnen habe, war sehr viel intensiver als der, den ich auf dem Segelboot bekommen habe“, sagt Ittel.

Auch Lisa Reiner fiel es im Herbst 2014 nicht schwer, das Angebot der Unternehmensberatung Accenture für eine Einstiegsposition im Bereich Vertrieb und Kundenservice am Münchner Standort anzunehmen. Nach einem telefonischen Gespräch hatte ihr das Unternehmen dort in einem zweitägigen Präsenz-Assessment-Center gute Einblicke in seine Strukturen gewährt. Bei einem gemeinsamen Abendessen etwa hatte sie wie alle Bewerber die Chance, ihre künftigen Vorgesetzten kennenzulernen.

Die 28 Jahre alte Reiner hat an der Fachhochschule im niederländischen Groningen International Business studiert und danach ihren Master in Marketing an der schottischen Universität St Andrews gemacht. Durch Praktika war ihr früh klar, dass größere Unternehmen ihr jüngeres Personal vor allem durch Assessment Center finden. „Ich kann das gut nachvollziehen und finde es legitim. Gerade in der Vorauswahl bleibt den Konzernen bei mehreren hundert bis tausend Bewerbern auf eine Trainee-Stelle keine andere Möglichkeit, als durch ein Online-Assessment-Center die besten herauszufiltern“, sagt Reiner.

Was sie allerdings stört: Die Persönlichkeit und Einstellung eines Menschen gerate bei diesen Tests aus dem Fokus, stattdessen zählten fast ausschließlich das abgefragte Fachwissen sowie die Stationen des Lebenslaufs. Zudem glaubt sie, dass ein Persönlichkeitstest sie nicht authentisch widerspiegele, zumal es unzählige Ratgeber für solche Tests gebe. Und dann gebe der Kandidat nicht mehr an, was seiner Persönlichkeit entspreche, sondern was er glaube, dass sein Gegenüber hören wolle. Ebenso habe sie den Eindruck, dass manche Assessment Center überzogene Ansprüche stellen: „Eine Freundin von mir musste, um zum persönlichen Gespräch geladen zu werden, in einem Online-Assessment-Center drei Stunden lang Mathematik-, Analytik- und Logikaufgaben lösen, bei denen ihr selbst ihr Vater, Mathematiklehrer in der gymnasialen Oberstufe, nicht helfen konnte.“

Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber fühlte sich Reiner in allen Phasen weder unter- noch überfordert. Selbst wenn es nicht geklappt hätte, wäre sie nach all den Mühen zwar enttäuscht, aber „nicht am Boden zerstört gewesen“, da sie nach dem Präsenz-AC sofort Feedback bekommen hat. „Ich hätte etwas gelernt und dadurch die Chance gehabt, mich selbst zu verbessern und weiterzuentwickeln“, sagt sie.

Reiners Eindruck bestätigt der Hamburger Personalmanagementberater Friedemann Stracke: „Wer ein Assessment Center durchlaufen hat, kann daraus nur lernen, wenn seine Leistung danach direkt und ehrlich beurteilt wird.“ Bewerber, die mit ihren Erlebnissen und Eindrücken alleingelassen würden, wären oft frustriert und würden so unnötig für weitere Versuche entmutigt. Seiner Meinung nach passiere das häufig.

Das ist nicht der einzige Grund, warum Stracke nach Jahren, in denen er ein Verfechter von Assessment Centern war, zum Kritiker der Methode geworden ist: „Das Verfahren hat eine unkritische Überhöhung erfahren, die ich nicht mehr nachvollziehen kann.“ So hätten viele Unternehmen zwar das Potential des Verfahrens erkannt. Oft fehle es aber an geschultem Personal, das die Beobachtungen korrekt interpretiere.

Viele Bewertungen seien deshalb eher subjektiv. Oftmals würden Kandidaten durch detaillierte Instruktionen auch in eine Rolle gedrängt, die sie in einer weniger künstlichen Konstellation gar nicht annehmen würden. Noch bedenklicher sei es, Kandidaten die Möglichkeit zur Manipulation zu bieten. So würden mittlerweile Kurse angeboten, die Teilnehmer auf ein erfolgreiches Abschneiden trimmen. „Und was man dann im Auswahlverfahren zu sehen bekommt, ist höchstens eine gute Selbstdarstellungskompetenz, aber nicht das, was man eigentlich wissen wollte.“

Deshalb hält Stracke andere Strategien für geeigneter, um Potential und Talent von Bewerbern zu erkennen. Ähnlich wie Nilgün Aygen tendiert auch er wieder stärker zum klassischen Bewerbungsgespräch. Auch wenn es sich sowohl bei Assessment Centern als auch bei Bewerbungsgesprächen um künstliche Situationen handele, habe das Gespräch für ihn einen klaren Vorteil: den Dialog und die Möglichkeit, aus allzu vorgefertigten Schemata auszubrechen, wenn es nötig wird. Bei Bewerbungen also wieder mehr reden und weniger testen? Vielleicht nimmt die klassische Herangehensweise potentielle Kandidaten doch besser unter die Lupe.

 

Wie bestehe ich ein Assessment Center?

Wer zu einem Assessment Center eingeladen wird, sollte nicht völlig unvorbereitet sein. Denn es ist durchaus möglich, sich bis zu einem gewissen Punkt fachlich und mental darauf vorzubereiten. Die Hamburger Firma cut-e hat sich auf die Vorbereitung von Assessment Centern spezialisiert. Hier sind einige Tipps der Experten:

Wo will ich hin?

Der Teilnehmer sollte sich noch mal bewusst vor Augen führen, warum er gerade in diesem Unternehmen und auf dieser Position arbeiten möchte beziehungsweise warum er die beste Wahl dafür wäre. Denn nur dann kann er, vor allem in der oft gewünschten Selbstpräsentation, flüssig und authentisch antworten und argumentieren. Wichtig sind diese Überlegungen im Vorfeld auch, um während der Bewerbungsrunde zu sehen, ob Arbeitgeber und Stelle überhaupt zu einem passen. Denn ein Assessment Center ist beileibe keine Einbahnstraße. Die meisten Unternehmen bieten während der Tests gute Einblicke in die Unternehmensstruktur, nicht nur bei gemeinsamen Essen, bei denen man natürlich Fragen stellen darf und auch sollte. Wer mit vielen Informationen über die Firma aus der Bewerbungsrunde geht, kann im Fall eines Stellenangebots einen teuren Fehlgriff für beide Seiten vermeiden, sollte er mit einem unguten Gefühl aus dem Assessment Center gegangen sein.

Fallstudien

Gerade in Konzernen müssen meist „Case Studies“ bearbeitet werden, das heißt, ein Problem muss aus Sicht einer Führungskraft gelöst und dieser Lösungsansatz dann vor Publikum präsentiert werden. Nicht wenige lesen unter dem herrschenden Druck die Anweisungen nicht genau durch. Entspannt bleiben, lieber zweimal durcharbeiten, die Informationen, die man braucht, notieren und systematisch auswerten. Eine klare Lösung erarbeiten, aber auch deren Vor- und Nachteile kennen. Die Konsequenz der Lösung, für die man sich entschieden hat, muss klar herausgearbeitet und auch das weitere Vorgehen mitgedacht werden. In der Präsentation Begrüßung und Verabschiedung nicht vergessen. Klare Strukturierung der Präsentation: 30 bis 40 Prozent der Zeit der Ist-Analyse widmen, 50 Prozent der Zeit der Lösung. Die Nachteile dieser Entscheidung nennen, aber auch klar herausstellen, warum man sich für diese entschieden hat, und gegen mögliche andere, sprich: die Idee überzeugend verkaufen. Im Diskussionsteil über die Fallstudien Nachhaken der Beobachter nicht als Kritik, sondern als Gelegenheit verstehen, Fehler zu verbessern oder Lücken in der Argumentation zu schließen. Wurden Aspekte vergessen, laut darüber nachdenken, wie sie noch eingebaut werden können.

Persönlichkeitstests

Personalexperten streiten sich über die Aussagekraft solcher Tests. Dennoch werden sie durchgeführt und verraten in Grenzen natürlich etwas über den Bewerber – es sei denn, er schummelt. Deshalb: immer ehrlich und eher spontan antworten. Wer will schon in einem Unternehmen arbeiten, zu dem er charakterlich nicht passt?

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