Von Ursula Kals
Triumph der Schönfärber und Wortklauber. Wenn es gilt, Negatives positiv darzustellen, rechtssicher zu schummeln oder zu vertuschen, dann werden sie aktiv und kreativ: die Experten des Euphemismus, auch als sprachliche Schönfärber oder wendige Wortverdreher bezeichnet. Das Phänomen ist nicht neu, sondern in Religion und Mythologie seit Jahrtausenden bekannt. Aber erst seit dem Siegeszug der Marktwirtschaft und aktuell durch übersteigerte politische Korrektheit ist es zu ungeahnter Blüte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelangt. Die Beispiele entstammen dem Prachtdeutschen.
Heißt es in der Politik, der Bürger solle mehr Eigenverantwortung übernehmen, dann heißt das schlicht, er muss mehr zahlen. Die Beitragserhöhung wird als Beitragsanpassung verharmlost. Die Müllhalde heißt nun Entsorgungspark. Und die Krankenkasse stellt sich vital als Gesundheitskasse vor. Sozialverträgliches Frühableben heißt Sterben – und zwar, bevor man die Rentenkasse belastet.
Auch die Militärsprache setzt auf geballte Verharmlosung. Militäreinsätze werden gerne als friedenserhaltende Maßnahmen bezeichnet. Wenn der Friedensprozess stockt, dann herrscht Krieg. Leider gibt es Kollateralschäden, als wäre der Tod von Menschen eine Begleiterscheinung. Aus Vertreibung wird eine Umsiedlung. Ethnische Säuberungen bedeuten nichts anderes als Massentötungen, bei denen höchstens das eigene Gewissen reingewaschen wird. Das alles ist suboptimal, also schlecht, und bedarf brutalstmöglicher Aufklärung, tut uns der Politikermund dynamisch kund. Nicht nur die Superlative werden in der Politik überstrapaziert.
In der Wirtschaft gehört sprachliches Schönfärben dank Marketing und Werbung ganz traditionell zum Geschäft. Die Lebensmittelindustrie bringt Dynamik in diese Disziplin. Der zuckrige Fettkeks knuspert sich freundlich als Frühstückchen heran, der gesunde Fruchtsaft ist Zuckerwasser ohne nennenswerte Spuren Obst. Nur wer den Unterschied zwischen natürlichen und naturidentischen Aromastoffen kennt, weiß, dass Himbeergeschmack nichts mit dem Genuss einer echten Beere zu tun haben muss. Appetitlich klingt Analogkäse nicht gerade – ob das Wort auch im Digitalzeitalter noch gefragt ist? Aber künstlicher Käse klingt nun mal nach igitt. Die Formulierung Formfleisch sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen, denn gemeint sind zusammengebügelte Fleischreste, wobei mit Geschmacksverstärkern nicht gegeizt wird.
Locker mithalten kann die Immobilienbranche, verbales Aufhübschen ist eine Art Kernkompetenz gegenüber der Kundschaft: Der Grundriss ist originell, das Haus ausbaufähig, der Garten eingewachsen, das Viertel lebhaft. Übersetzt heißt das: Die Zimmer sind verschnitten, das Haus ist eine Ruine, der Garten verwildert, und draußen tosen Verkehr und Partyvolk. Ach ja, gegenüber ist ein Rückbau geplant, also Abriss. Der euphorisch besungene „Familientraum am Bach mit oberbayrischem Gutshofcharme“ entpuppte sich als versumpfte Bröckelscheune und frustrierte den französischen IT-Mitarbeiter bei seiner Besichtigung nahe München zutiefst. Oder soll man sagen, verstörten den zweisprachigen Mann, dessen Familie nach Bayern nachziehen sollte? Solche Anzeigentexte auf raffiniert bebilderten Portalen zu entschlüsseln, das überforderte seine ansonsten respektablen Deutschkenntnisse. „Sagt ihr Deutschen nicht, man wird für dumm verkauft?“ Immerhin hat sich der Mann seinen Humor bewahrt, denn als Ausländer mit derlei Euphemismus konfrontiert zu werden, das macht weiß Gott keinen Spaß. Sprachliche Verschleierung meets globalisierte Welt – was für eine Herausforderung. Come in, find out, mag man den Zugereisten zurufen.
Gut mithalten kann hier die artverwandte Tourismusbranche, die unter anderem auch Behausungen an den Kunden bringen möchte. Blöd, wenn das neu eröffnete Hotel einfach noch nicht fertig gebaut ist. Doof, wenn der aufstrebende Ferienort über zahllose Baustellen verfügt, aber immerhin noch beliebt bei Stammgästen sei – denn die anderen kommen nicht mehr. Genaues Lesen hilft auch hier. Denn Meerseite heißt nicht Meerblick, und Meerblick heißt nicht Strandnähe. Direkt am Meer heißt nicht, dass man über Klippenspitzen auch ans Meer gelangt oder dass es Strand gibt. Und was selbstbewusst Idylle genannt wird, hat einfach keine Infrastruktur. Kein Weg. Nirgends.
Herrlich verherrlichend auch die Welt der Finanzen. Allein das Wort Gewinnwarnung. Das klingt schon wie Sturmwarnung – warnen wir vor Gewinn oder vor weniger Gewinn? Auch niedlich: Nullwachstum, also Stagnation. Negativzinsen, also dumm gelaufen, das Ersparte wird immer weniger. Das ist aber noch besser als negative Zuwachsraten, hier ist der Verlust nämlich noch größer. Vertuscht werden diese deprimierenden Zahlen durch kreative Buchführung, was letztendlich einer Bilanzfälschung gleicht. Die Entzerrung des Preisgefüges hört sich fast charmant an, etwas entzerren ist irgendwie vielversprechend, entspricht aber einer Verteuerung.
Locker hält die Personalwirtschaft mit. Human Capital, Human Resources – Begriffe für Mitarbeiter, Bezeichnungen, in denen nichts Menschliches mehr steckt. Man spricht dort gerne von freisetzen statt entlassen. Die geplante Betriebsoptimierung umschreibt Kündigungen. Das laute Großraumbüro wird zur Teamfläche deklariert. Dort gilt es, interessante Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen, also unangenehme Dinge zu erledigen, bei denen man sich nur Ärger einhandeln kann. Die Kollegen seien in den besten Jahren, will heißen: kurz vor der Rente. Die anderen sind förderungswürdig, also unfähig und brauchen dringend Nachhilfe. Schon allein, damit später im Zeugnis nicht steht: Sie waren stets bemüht, übersetzt, zu nichts zu gebrauchen.
Euphemisten trauen sich nicht, Dinge beim Namen zu nennen, sie könnten sich sonst die Zunge verbrennen an den heißen Eisen der Wahrheit. Sie nehmen uns nicht an der Hand, sondern auf den Arm, das heißt, sie verspotten uns. Aber bekommen das reflektierte Menschen tatsächlich immer mit?
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Manchmal wird es gar zu bunt mit der sprachlichen Schönfärberei. Dinge müssen wieder schwarz auf weiß wahrgenommen werden. Zum Beispiel, wenn es um Berufe geht. Klare, klassische Berufsbezeichnungen scheinen auszusterben. Es gleicht einer Majestätsbeleidigung, wenn man von Putzfrau statt Raumpflegerin redet oder den hilfsbereiten Hausmeister im Elternabendprotokoll nicht Facility Manager nennt. Die Akademiker sind keinen Deut besser. Ganz im Gegenteil, Stichwort Anglizismen. Jeder Jurist, der mal einen englischsprachigen Mandanten hatte, muss mindestens einmal irgendwas mit „law“ auf seiner Karte erwähnen. Die ist ohnehin sagenhaft, die Titellyrik der Visitenkarten. Unglaublich, welche blutjungen „Head of sonstwas“ sich dort aufmanteln. Oder wer sich alles forsch Manager nennen darf. Gemanagt wird das Büro, gemanagt wird der Job im Imbisswagen, ganz so, als wäre Sekretärin oder Dönerverkäufer eine despektierliche Bezeichnung. Durch den Manager wird jede Fachkraft zur Führungskraft. Donnerwetter! Klingt doch doll, doller, am dollsten.
Ernüchternd auch der Blick Richtung Bildung. Im Kindergarten wird das offene Konzept vorgestellt, was sich leicht als konzeptloses Agieren aus Ahnungslosigkeit erweist, die Dinge dürfen sich einfach mal so entwickeln, bis sie ins Chaos führen. Darüber ärgern sich hinterher dann auch die Bildungsfernen, also die Dummen, die aber über Entwicklungspotential verfügen. Wenn sich die Fachhochschule als „University of Applied Sciences“ bezeichnet, muss es natürlich auch bei den Studienfächern krachen. Schließlich gibt es in Deutschland rund 17 000 Studiengänge, da darf es ruhig ein bisschen exquisiter klingen, der Student kann sich der Rehabilitationspädagogik verschreiben, der angehende Architekt kann Promenadologie belegen und sich mit der Wahrnehmung des Menschen beim Zu-Fuß-Gehen beschäftigen. An der Hamburger Northern Business Academy dürfen sich Bachelor-Studenten in das Studium Coffeemanagement vertiefen. Nun ja, es gibt sicher noch weitaus weniger Wichtiges, als sich um den Koffeinnachschub für Kaffeeliebhaber zu kümmern. Die Argumente sind nicht abwegig, international soll es sein, präziser. Schlicht und schön hätte aber auch was. Dem Diplomingenieur trauern nicht nur Nostalgiker nach. Statt diese klassische Deutschland-Marke zu hegen und zu pflegen, verwässern nun diffuse Titel den guten Klang grundsolider Ausbildung.
Mehr sprachliche Klarheit könnte aber auch fürchterlich gemein sein. Denn verbales Verschleiern tröstet auch. Da sind uns die dritten Zähne doch lieber als das Gebiss. Da reden wir lieber davon, vollschlank und mit hoher Stirn aufzutreten, statt uns als dicker Mensch mit Halbglatze abzukanzeln. Wie lautet unser Lieblingsspruch: Der kluge Mund lügt mit der Wahrheit.
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