Frauen und Männer – beide fühlen sich diskriminiert

Führungskräfte der Chemie sehen bei einer Umfrage das jeweils andere Geschlecht bevorzugt. Frauen in Führungspositionen meinen, dass ihre männlichen Kollegen bevorzugt werden. Männer sehen sich ihrerseits diskriminiert und glauben, dass Frauen in der Berufswelt einen Geschlechtervorteil haben. Das ist im Kern das Ergebnis einer Umfrage zur Chancengleichheit, die kürzlich der VAA abhielt, der Führungskräfteverband der chemisch-pharmazeutischen Industrie; die Resultate liegen dieser Zeitung vorab vor.

Der VAA ist mit 30 000 Mitgliedern der deutlich kleinere der beiden einflussreichen Arbeitnehmerverbände in Deutschlands drittgrößter Industrie, hinter der Gewerkschaft IG BCE. Er ist aber der maßgebliche unter den leitenden Angestellten und Akademikern. Alle fünf Jahre befragt der VAA die Mitglieder, wie sie die Chancengleichheit der Geschlechter beurteilen. „Die männlichen Befragten gehen insgesamt davon aus, dass Frauen stärker bevorzugt werden als Männer“, heißt es in der Auswertung der Resultate. „Frauen hingegen stufen die Bevorzugung von Männern als signifikant stärker ein.“

In Zahlen ausgedrückt: Auf einer Skala von eins („gar nicht“) bis fünf („in höchstem Maße“) sollten die Befragten sagen, wie stark in ihren Augen Männer in den Unternehmen bevorzugt werden. Frauen nannten im Schnitt einen Wert von 2,9, Männer einen Wert von 1,8. Auf die Frage nach der Bevorzugung von Frauen gaben Männer im Mittel eine 2,2, Frauen eine 1,7. 2062 Personen nahmen teil, beide Geschlechter ziemlich genau zur Hälfte (52 Prozent Frauen, 48 Prozent Männer).

Nach Einschätzung des VAA-Hauptgeschäftsführers Gerhard Kronisch drücken sich darin zwei unterschiedliche Erscheinungen aus: Einerseits sind in den Top-Ebenen Frauen weiterhin unterrepräsentiert. Andererseits sehen sich Männer bei Ausschreibungen, gerade im mittleren Management, häufig der Maßgabe ausgesetzt, dass Frauen bei gleicher Qualifikation explizit vorrangig eingestellt werden – und dass manchmal sogar nach Möglichkeit nur eine Frau zum Zuge kommen soll, wie auch Personalberater öfters berichten. „Die Zahlen zeigen, dass in den ganz gehobenen Posten Frauen unterproportional vertreten sind“, sagt Kronisch. Und umgekehrt: „Männer haben Angst, dass die Frauenförderung und Frauenprogramme zu Lasten der Männer gehen.“

Generell hat sich der Anteil der Frauen unter den VAA-Mitgliedern stark erhöht – von knapp 4 Prozent 1990 auf jetzt etwa 19 Prozent. Weitaus höher ist er bei den Jüngeren bis 45 Jahre, nämlich 32 Prozent. Frauen bilden auch in der Chemie- und Pharmaindustrie eigene Netzwerke, auch im VAA. Sie sollen als Gegengewicht zu informellen Männer-Netzwerken dienen, die nach Ansicht vieler Frauen den Eintritt in die Top-Ebene versperren. Kronisch sieht allerdings geschlechterspezifische Netzwerke skeptisch, „weil Frauennetzwerke zu sehr im eigenen Saft schmoren. Deswegen besteht die Gefahr, sich zu isolieren und nicht ernst genommen zu werden.“ Er plädiert dafür, sich stattdessen in gemischtgeschlechtlichen Netzwerken zu engagieren.

KLAUS MAX SMOLKA

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