Deutlich mehr Chefs werden wegen unethischen Verhaltens entlassen

Betrug, Bestechung oder gefälschte Lebensläufe – persönliche Verfehlungen werden vielen Vorstandsvorsitzenden zum Verhängnis. Ethische Verstöße sind immer häufiger der Grund, warum Chefs großer Konzerne ihren Posten räumen müssen. Im vergangenen Jahr mussten insgesamt 18 Vorstandsvorsitzende der 2500 größten börsennotierten Unternehmen der Welt wegen unethischen Verhaltens zurücktreten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Strategy&, die zum Wirtschaftsprüfungskonzern PWC gehört, ohne selbst Namen zu nennen. Für Schlagzeilen sorgten im vergangenen Jahr aber etwa der Betrugsskandal der amerikanischen Bank Wells Fargo und die Korruptionsaffäre des südafrikanischen Stromversorgers Eskom. In Deutschland musste schon im Jahr davor VW-Chef Martin Winterkorn im Zusammenhang mit dem Dieselskandal zurücktreten. In Japan nahm ebenfalls wegen falscher Abgasangaben der Chef von Suzuki seinen Hut. Zuletzt traf es den deutschen Manager Klaus Kleinfeld beim Aluminiumkonzern Arconic, nachdem er seinen unliebsamen Großaktionär in einem launigen Brief an private Verfehlungen erinnerte, was als Erpressungsversuch gewertet wurde.

Die Zunahme der Fälle ist auffallend: Während in den Jahren von 2007 bis 2011 nur 52 (oder 3,9 Prozent) aller Chefwechsel in den 2500 Konzernen durch unethische Fehltritte ausgelöst wurden, waren es im Zeitraum 2012 bis 2016 laut der Studie insgesamt 82 (oder 5,3 Prozent). Zu den ethischen Verfehlungen zählt die Studie etwa Betrug, Bestechung, Insiderhandel, das Auslösen von Umweltkatastrophen, gefälschte Lebensläufe oder sexuelle Indiskretionen.

Dass Führungskräfte heute aber tatsächlich unmoralischer handeln als früher, sei zweifelhaft, sagt Peter Gassmann, Deutschland-Chef von Strategy&. Gut möglich sei, dass Verfehlungen heute schlicht stärker geahndet würden. Die Datenanalyse gebe darüber zwar keinen Aufschluss, für eine stärkere Ahndung gebe es aber starke Indizien: „Wir gehen nicht von einer Verschlechterung des Verhaltens aus.“ Früher hätten auch größere Skandale nur selten zur Entlassung eines Konzernchefs geführt, heißt es in der Studie. Das habe sich aber in den vergangenen 15 Jahren grundlegend geändert. Dafür gebe es mehrere Gründe: Das Vertrauen in große Institutionen sei seit Jahrzehnten rückläufig, seit der Finanzkrise habe sich der Autoritätsverlust noch beschleunigt. Die Öffentlichkeit würde das Verhalten von Spitzenmanagern heute kritischer beobachten und weniger Verfehlungen dulden, weil damals der Eindruck entstanden sei, die Allgemeinheit müsse finanziell für das Fehlverhalten von Spitzenmanagern aufkommen, während die eigentlichen Verursacher weitgehend ungeschoren davongekommen seien. Die Politik habe auf Druck der Öffentlichkeit viele Gesetze verschärft. Daher würden für Verfehlungen heute viel empfindlichere Strafen ausgesprochen. Gefängnisstrafen für Manager hätten zugenommen. Aber auch die finanziellen Strafen für Unternehmen hätten sich drastisch erhöht. Während die Höchststrafen für Unternehmen bei großen Skandalen früher maximal im unteren dreistelligen Millionenbereich lagen, seien in den vergangen 5 Jahren Strafen und Entschädigungen im zweistelligen Milliardenbereich fällig geworden.

 

Tatsächlich mussten die Bank of America und JP Morgan wegen umstrittener Geschäfte 16,6 und 13 Milliarden Dollar Strafe zahlen. Etwas glimpflicher kam Volkswagen im Dieselskandal davon, wenngleich sich die Gesamtkosten einschließlich zivilrechtlichen Vergleichen für Volkswagen durch den Skandal mittlerweile auf mehr als 20 Milliarden Dollar summieren. Durch die digitale Kommunikation sei außerdem die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens für die beteiligten Manager deutlich gestiegen.

Viele Fälle kämen mittlerweile durch geleakte E-Mails ans Licht der Öffentlichkeit. Und nicht zuletzt habe mit dem Aufkommen des Internets, Online-Finanznachrichten und der sozialen Netzwerke der mediale Druck stark zugenommen, wohingegen früher, als nur Wirtschaftsblätter detailliert über Skandale berichtet hätten, in größerer Anonymität gearbeitet worden sei. Die Ablösung des Chefs werde oft als „leichte“ Lösung betrachtet, um in einer aufgeheizten Atmosphäre dem öffentlichen Druck gerecht zu werden, heißt es in der Studie.

Von Tillmann Neuscheler

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