Führungskräfte sammeln besonders viele Überstunden
Überstunden: Deutsche arbeiten im Schnitt drei Stunden mehr als vertraglich vereinbart. Wie lange verbringt man tatsächlich am Arbeitsplatz?
Führungskräfte schuften bis zum Umfallen, Anwälte auch, und Ärzte sowieso. Lehrer gehen mittags nach Hause und legen sich auf die faule Haut. So weit die gängigen Vorurteile. Aber diese sind nur zum Teil richtig. Das geht aus einer neuen Auswertung der F.A.Z. hervor, die auf Daten des Soziooekonomischen Panels basiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dafür in den Jahren 2013 und 2014 mehr als 20 000 Personen befragt. Sie sollten angeben, wie viel Arbeitszeit sie vertraglich mit dem Arbeitgeber vereinbart haben, aber auch, wie lange sie tatsächlich am Arbeitsplatz verbringen. Selbständige wurden nur nach ihrer tatsächlichen Arbeitszeit gefragt.
Zunächst einmal bestätigt sich ein gängiges Klischee: Geschäftsführer und Vorstände arbeiten sehr viel. Im Durchschnitt sitzen sie nach eigenen Angaben mehr als 49 Stunden pro Woche am Schreibtisch. Und das, obwohl in ihren Arbeitsverträgen im Schnitt nur 39,4 Stunden vereinbart sind – macht knapp 10 Überstunden pro Woche. Das schlägt ihnen aber nicht aufs Gemüt, sagen sie selbst, mit ihrem Leben ist diese Berufsgruppe sehr zufrieden (F.A.Z. vom 2. Juni).
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Medizinern: Im Schnitt sieht ihr Arbeitsvertrag 36,5 Wochenarbeitsstunden vor, aber tatsächlich sind es neun Stunden mehr. Ärztegewerkschaften wie der Marburger Bund klagen regelmäßig über die hohe Belastung ihrer Mitglieder. Rechtsanwälte hingegen verbringen „nur“ 43 Stunden pro Woche im Büro – 7,6 Stunden mehr als vereinbart. Besonders viele Überstunden machen auch Landwirte (9,7) und Führungskräfte in der Gastronomie (14,6). Das ist bemerkenswert. Denn fasst man alle Beschäftigten in der Gastronomie zusammen – also auch einfache Tellerwäscher – dann kommen sie nur auf 33,7 Stunden pro Woche (1,6 Überstunden). Allerdings schwankt die Menge der Arbeit in der Branche saisonal wie in kaum einem anderen Dienstleistungssektor.
In Deutschland legt das Arbeitszeitgesetz fest, wie lange Arbeitnehmer höchstens arbeiten dürfen. Grundsätzlich geht der Gesetzgeber von 40 Wochenstunden aus, die weitgehend flexibel verteilt werden können. Über acht Stunden pro Tag können Überstunden anfallen, allerdings muss die Mehrarbeit innerhalb der darauffolgenden sechs Monate ausgeglichen werden. Nach Feierabend haben Arbeitnehmer Anspruch auf eine Ruhezeit von elf Stunden. Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist nur in Ausnahmefällen möglich. Die Tarifvertragsparteien können die gesetzlichen Regelungen allerdings an die jeweiligen Branchen anpassen.
Für Beamte, Richter und Soldaten gilt das Gesetz hingegen nicht. Für die Bundeswehr etwa legt die Soldatenarbeitszeitverordnung die maximale Arbeitszeit fest. Seit Januar 2016 sind das 41 Stunden pro Woche, Ausnahmen sind unter anderem im Einsatz, bei Langstreckenflügen oder im Sanitätsdienst möglich. Das könnte der Grund sein, warum die befragten Soldaten nicht nur 121 Kilometer im Schnitt zur Arbeit pendeln, sondern auch eine vereinbarte Wochenarbeitszeit von 41,9 Stunden angeben – eine der höchsten überhaupt.
Insgesamt machen die meisten Befragten regelmäßig Überstunden: im Schnitt drei pro Woche, erklärt DIW-Forscher David Richter. 32,9 Stunden Arbeitszeit haben sie im Mittel mit ihren Arbeitgebern vereinbart, 35,9 verbringen sie tatsächlich am Arbeitsplatz.
Auf besonders wenige Arbeitsstunden kommen Reinigungskräfte, Hauswirtschafter und Post- und Paketzusteller. Das ist keine Überraschung: Diese Arbeiten werden zum Teil auch von Aushilfen erledigt. Besonders oft in Teilzeit arbeiten auch Sekretariatskräfte, Erzieher, Physiotherapeuten und Grundschul- und Fahrlehrer. Die bleiben auch mal länger, allerdings nicht so oft wie Menschen, die ohnehin in Vollzeit arbeiten.
Insgesamt ist die Zahl der Überstunden für das Glück der Menschen gar nicht so wichtig, solange die Work-Life-Balance stimmt, haben Forscher der „London School of Economics“ herausgefunden. Menschen sind glücklich, wenn sie in Vollzeit arbeiten wollen und das auch dürfen. Umgekehrt gilt das auch für Menschen, die lieber weniger Stunden pro Woche arbeiten möchten und das auch dürfen. Laut Sozio-oekonomischem Panel arbeiten rund 81 Prozent der Arbeitnehmer genau so viel, wie sie es sich wünschen. Jeder fünfte Teilzeitbeschäftigte – also rund zwei Millionen Menschen – würde hingegen gern Vollzeit arbeiten.
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