Mitarbeitergespräche: Gut, dass wir darüber gesprochen haben

Mitarbeitergespräche verlaufen oft unschön, wenn sie überhaupt stattfinden. Eine vertane Chance, denn sie sind ein wichtiges Führungsinstrument.

Quelle: Cyprian Koscielniak

Von Ursula Kals

Klar sind wir im Gespräch. Ich rede doch mit meinen Mitarbeitern – wenn es denn was zu reden gibt“, bekundet vollmundig der mittelständische Firmenchef, der sich in der Rolle des modernen Patriarchen ausnehmend gut gefällt. Offiziell anberaumte Mitarbeitergespräche stehen bei ihm unter Laber-Verdacht und damit auf dem firmeneigenen Index. Bei einem Seminar des Hamburger Managementtrainers Friedemann Stracke findet sich der Mann in guter Gesellschaft. Auch die anderen Geschäftsführer kanzeln Mitarbeitergespräche als Unsinn ab: Warum sollen wir uns mit Gequatsche abquälen, wir verlieren Zeit, die Mitarbeiter verlieren Zeit. Bisher haben wir das nicht vermisst.

Sie irren, widerspricht Betriebswirt Stracke: „Ein Mitarbeitergespräch ist das beste Führungsinstrument, wenn es gut genutzt wird. Der Mitarbeiter kommt aus der Anonymität heraus und eröffnet neue Aspekte für die Zukunft.“ Kollegen pflichten dem bei. „Es ist sinnvoll und existentieller Bestandteil von Führung. Wenn man Führung ernst nimmt, muss man diese Gespräche führen“, sagt Günther Bergmann, Professor für Personalmanagement an der Hochschule Pforzheim. Und die Berliner Wirtschaftspsychologin Brigitte Scheidt hält Mitarbeitergespräche im Idealfall für ein Frühwarnsystem für Stimmungen sowie für notwendige Änderungen und Verbesserungen. „So erhalten alle Beteiligten substantielle Rückmeldung.“

In straff geführten Konzernen oder Unternehmensberatungen gehören regelmäßige Mitarbeitergespräche zum Standard. „Und sie werden bei großen Unternehmen populärer“, beobachtet Hochschullehrer Bergmann. Die Treffen sind ritualisiert: Es gibt ermutigende Entwicklungsgespräche, zahlendominierte Zielvereinbarungsgespräche, bilanzierende Jahresabschlussgespräche, entspannte Motivationsgespräche und knallharte Beurteilungsgespräche, die als Up-or-out-Rausschmeißinstrument fungieren. Vor allem die Gespräche, in denen Zielvereinbarungen abgesprochen werden, sieht Stracke „im Kern als Kontroll-, nicht als Motivationsinstrumente“. Der Diplom-Kaufmann, der 20 Jahre als Personalleiter eines großen Versandhauses gearbeitet hat, ärgert sich über den rhetorischen Klimbim: „Keep Performance Indicators ist einer der dämlichsten Begriffe, der unterwegs ist.“ Arbeitgeber sprächen von Leistungsbeurteilung, es sei im Kern aber eine „Beziehungsbewertung“.

Je transparenter die Regeln eines Gesprächs sind, umso angenehmer scheint es zu verlaufen. „Idealerweise ist es so, dass Führungskräfte ein- oder zweimal im Jahr eine Potentialeinschätzung der Fachkräfte mit wertigen Aufgaben machen und dazu Protokollblätter ausfüllen“, erklärt Günther Bergmann. So kommen die Wünsche des Mitarbeiters zur Sprache. „Nicht jeder will Karriere machen oder den Preis bezahlen, die Stadt oder sogar das Land dafür zu wechseln. Das ist abhängig von der persönlichen Situation.“ Liefen diese Gespräche atmosphärisch gut ab, sehen Mitarbeiter darin die Chance, ein realistisches Feedback zu bekommen. „Sonst sind Gespräche oft ereignisgetrieben, so dass der Eindruck entsteht, nur bei schlechten Ereignissen gibt es ein Gespräch.“ Reibungslos sei der Prozess nicht, sagt Wirtschaftspsychologe Bergmann: Will etwa ein Angestellter unbedingt Filialleiter in der Nachbarstadt werden, hat der Vorgesetzte möglicherweise ein anderes Problem: Er möchte den guten Mann halten und nicht wieder einen neuen einarbeiten müssen.

Stracke schätzt, dass 90 Prozent der deutschen Unternehmen keine oder nur sporadisch Mitarbeitergespräche führen. In der Praxis, so erklärt der Leiter des Hamburger Instituts für Managerberatung und Persönlichkeitsdiagnostik, „würden viele Führungskräfte am liebsten nur schriftlich führen“. Und es gibt den Ressortleiter eines Verlags, gebeutelt durch Sparauflagen, der Gespräche resigniert abblockt mit dem Argument: „Ich kann keinem von euch eine Perspektive bieten.“ Diese Vermeidungsstrategie ist keine Lösung, aber irgendwie auch menschlich.

„Offenbar empfinden beide Seiten das Mitarbeitergespräch als unbehaglich“, sagt Stracke und nennt Gründe: Der Mitarbeiter befürchte Kritik. Dem Chef wiederum fehlten oft konkrete Informationen, er fürchtet, mit Dingen konfrontiert zu werden, die er nicht widerlegen kann. Nicht umsonst gibt es das schöne Zitat des Schriftstellers Siegfried Lenz: „Jedes Gespräch hat einen Aspekt von Selbstverteidigung.“

Studien zu Mitarbeitergesprächen bündeln die Kritik der Angestellten, Friedemann Stracke zählt sie auf:

Ich konnte nicht ausreden. Ich wurde überrumpelt, von oben herab behandelt. Es gab eine asymmetrische Kommunikation. Mein Chef ist mir rhetorisch überlegen. Ihm geht es nur um seinen eigenen Sachverhalt, um sich selbst. Der Kern des Problems und kritische Punkte wurden nicht angesprochen. Ich hatte das Gefühl, mit einer Wand zu reden, meine Meinung prallt ab, mein Chef weicht keinen Millimeter von seiner ab. Oberflächlich war er verbindlich, inhaltlich kristallhart.

 

Vernichtendes Fazit: Das Mitarbeitergespräch wird als Manipulationsgespräch missbraucht. Also dumm gelaufen, Chance vertan. „Dabei tragen Führungskräfte die Hauptverantwortung dafür, dass eine positive Atmosphäre besteht“, sagt Wirtschaftspsychologe Bergmann, der zuvor unter anderem als Personalentwickler bei einem Versicherungsunternehmen gearbeitet hat.

Die Frage lautet also, wie so ein Gespräch gelingen kann. Zunächst sollte der Termin mindestens eine Woche vorher angekündigt werden. „Es sollte keine Störung geben und genügend Zeit eingeplant werden“, sagt Brigitte Scheidt. Der Chef sollte sich ihrer Meinung nach gut vorbereiten, sich vergegenwärtigen: Was weiß ich über die Arbeit des Mitarbeiters, wie schätze ich ihn ein, wie ist meine Beziehung zu dem, was erwarte ich von ihm. Es sei wichtig, „eine Erkundungshaltung einzunehmen, zuzuhören, statt zu bewerten“. Es gelte, die Sicht des anderen zu verstehen, nur so komme es zu einem Austausch. „Verstehen heißt nicht automatisch zuzustimmen.“ Weiterhin sollten Suggestivfragen vermieden werden, denn die weckten eher Misstrauen. Stracke hat zwei Leitsätze für Führungskräfte: „Kümmere dich erst um die Person, dann um das Thema. Rede weniger, als du möchtest.“ Smalltalk-Höflichkeit sei in Ordnung, wenn sie aufrichtig gemeint ist und kein antrainiertes, mechanisches Lobverhalten. „Stimmig zu sein, authentisch zu sein, das kann ein Gespräch veredeln. Ich muss nicht alles sagen, was ich denke. Aber was ich sage, sollte ich auch denken.“

Und ein Chef sollte sich bemühen, die Sicht des Mitarbeiters zu verstehen, ausgehend von der Grundlage, dass jeder auf seine Art recht hat. Stracke zitiert eine indianische Weisheit: Man sollte 14 Tage in den Mokassins des anderen gehen, bevor man ihn beurteilt. Souveräne Chefs beantworten Widerstand nicht mit Widerstand, sondern versuchen, ihn umzulenken. Konfrontiert man jemanden mit dem Vorwurf, einen Fehler gemacht zu haben, erntet man Abwehr, der andere gerät in eine Verteidigungshaltung. Klüger ist es, zu fragen: Wie sehen Sie das? Fragen halten den Dialog.

Bergmann sieht das ähnlich: „Versucht ein Mitarbeiter sich auch bei leichten Vorwürfen zu rechtfertigen, geht das Gespräch nicht weiter.“ Das löse wiederum Abwehrreaktionen beim Vorgesetzten aus, der versuche klarzumachen, warum der Mitarbeiter doch Schuld hat. Bergmann empfiehlt ein wechselseitiges Feedback. Zunächst soll der Mitarbeiter sagen, wie er grundsätzlich die Zusammenarbeit sieht, positive und negative Merkmale nennen, sich aber nicht nur an Einzelereignissen orientieren. „So findet in wertschätzender Atmosphäre Austausch statt, von dem beide etwas haben“, sagt Brigitte Scheidt. Klar, dass Kritik konkret und konstruktiv sein muss. „Es geht nicht darum, zu sagen, was gefällt mir an Ihnen nicht, sondern welche Verhaltensweisen stören Sie an mir, wo brauchen Sie noch Unterstützung?“

Für Stracke ist Respekt das oberste Gebot im Berufsalltag. Wird ein Chef ausfallend, solle ein Mitarbeiter nicht in den Widerstand gehen, denn der Zornige ist nicht aufnahmefähig. Besser sei, Verständnis zu äußern mit dem Hinweis: Vielleicht sprechen wir später einmal darüber. Um das Führungsinstrument nachhaltiger zu implementieren, rät Bergmann den Chefs, einmal im Jahr ihre Abteilungsleiter zu fragen: Wie ist die Zusammenarbeit der Abteilung? Welche Leute haben welche Ambitionen? „Dann wissen alle: Ich kann nur antworten, wenn ich vorher meine Mitarbeitergespräche geführt habe.“

Die fünf größten Fehler

In Mitarbeitergesprächen werden viele Fehler gemacht. Wolfgang Mentzel, Svenja Grotzfeld und Christine Haub zählen in ihrem Buch über „Mitarbeitergespräche“, Haufe-Lexware, die fünf häufigsten auf:

Zeitmangel: Das Gespräch findet unter Zeitdruck und Hektik statt.

Überheblichkeit: Der Vorgesetzte tritt auf unnötige Weise überheblich auf.

Unklare Anweisungen: Arbeitsaufträge werden nicht klar definiert und mitgeteilt.

Fehlende Mitsprachemöglichkeit: Bei Änderungsentscheidungen hat der Mitarbeiter keine ausreichende Möglichkeit zur Mitsprache.

Falsche Form der Kritik: Auf einer unsachlichen Ebene werden nur negative Aspekte beleuchtet.

 

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