„In jedem dritten Fall mobbt der Chef“

Mobbing betrifft alle Mitarbeiter und schadet dem Betrieb Je nach Umfrage werden 3 bis 5 Prozent der Beschäftigten gemobbt

Im Gespräch: Wirtschaftspsychologin Gabriele Bringer

Mobbing betrifft alle Mitarbeiter und schadet dem Betrieb. Doch es passiert noch immer häufig – besonders in einer Branche, von der man es am wenigsten erwartet.

Frau Bringer, Mobbing war in den neunziger Jahren ein prominentes Thema. Seitdem ist die Öffentlichkeit, so scheint es, sensibler dafür geworden. Heute wird das Wort fast inflationär benutzt. Wann spricht man von Mobbing?

Das sollte man sich in der Tat genau angucken. Nicht jedes Anschreien, nicht jede harsche Kritik ist gleich Mobbing. Bei Mobbing geht es um gezielte, destruktive Handlungen über einen längeren Zeitraum hinweg, gegen eine einzelne Person. Schreit der Chef alle gleichermaßen an, ist das unschön, aber natürlich kein Mobbing.

Die Zahlen haben sich seit Jahren nicht verändert, obwohl es in einigen Unternehmen Mobbing-Beauftragte gibt.

Je nach Umfrage spricht man von drei bis fünf Prozent aller Beschäftigen, die gemobbt werden. Das sind immerhin drei von 100 Menschen. Dieser Wert hat sich nicht verändert. Aber es sind eben auch nur die Fälle, die bekannt werden. Vieles kommt nicht zur Anzeige.

Gibt es Branchen, in denen häufiger als in anderen Bereichen gemobbt wird ?

Im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen wird am meisten gemobbt. Darin stimmen alle Studien überein.

Auf den ersten Blick erscheint das besonders absurd, menschenverachtend zu agieren, wo es um Menschen geht.

Aber nur auf den ersten Blick. Menschen, die für andere da sein wollen, müssen eine gewisse Menschenkenntnis besitzen. Sie haben meist eine starke Empathie, die kann ins Gegenteil verkehrt werden. Das sind Leute, die wissen ganz genau, wie sie andere aufbauen und auch gezielt fertigmachen können.

Im sozialen Bereich müsste theoretisch zumindest eine größere Bereitschaft vorhanden sein, Konflikte zu lösen.

Nein, oft wird es dort vermieden, die Konflikte anzusprechen, weil man niemanden verletzen will. Damit wird natürlich nichts gelöst. Das höre ich bei meinen Beratungen immer wieder. Wer hingegen die Konfliktkultur fördert, tut schon einiges, um Mobbing zu verhindern.

Konfliktkultur hört sich theoretisch an.

Konkret geht es darum, Mitarbeiter zu bestärken, Konflikte, wenn sie auftreten, sofort anzusprechen und zu lösen. Sie dazu befähigen, diese Streits zu klären.

Wie befähigt man Menschen dazu?

Chefs sollten vorleben, dass man Fehler machen kann, um dann gemeinsam diese Fehler wieder auszubügeln.

Und wenn die Konflikte richtig verfahren sind, der Streit eskaliert ist?

Dann helfen die Gesprächstechniken der Mediation. Mit diesem Ansatz gelingt es gut, Menschen zu befähigen, sachlich zu überlegen, wie ein Konflikt gelöst werden kann. Entscheidend ist, die Betroffene sollen die Probleme selbst lösen. Mediatoren machen ausdrücklich keine Vorschläge, die müssen selbst erarbeitet werden.

Können Sie diese Techniken skizzieren?

Sinnvoll sind Spiegeln oder aktives Zuhören. Ich paraphrasiere die Ansicht der Betroffenen. Was haben Sie für eine Idee? Wie könnte man das klären? Ich spiegle mit eigenen Worten, was der andere gesagt hat. Aktives Zuhören geht darüber hinaus. Da kann ich als Vermutung mit hineingeben, was damit gemeint ist, wie sich der andere dabei möglicherweise gefühlt hat. Gemeinsam wird dann mit beiden Parteien eine Liste erarbeitet, werden Vor- und Nachteile, wird die mögliche Machbarkeit besprochen. Dann bleibt eine Woche Zeit, das auszuprobieren. Danach setzen sich alle drei wieder zusammen.

Nennen Sie ein Beispiel!

Eine Führungskraft hatte ein Problem mit einem Kollegen und einer Kollegin, die sich einmal im Monat drei Tage gemeinsam konzentriert an einen Tisch setzen mussten, um Abrechnungen zu machen, darüber aber regelmäßig in großen Streit gerieten. Zunächst wurde die Frau gefragt, was konkret sie an der Situation stört. Dabei kam heraus, dass der Mann zu seiner eigenen Stressentlastung immer mit einem dicken Stift auf die Tischplatte hämmerte und sie das wahnsinnig machte. Sie hatte ihm das aber nie direkt gesagt. „Echt?“, hat er zurückgefragt, er hatte das überhaupt nicht gemerkt. Das war allerdings auch die kürzeste Mediation, die ich je erlebt habe.

Das war aber kein Mobbing, sondern ein eskalierender Konflikt.

Ja, genau, der aber deutlich zeigt, dass man die störenden Dinge möglichst früh ansprechen sollte.

Das dürfte Menschen, die systematisch ausgegrenzt werden, schwerfallen. Sie sind geschwächt von Gerüchten, Grenzverletzungen, Neid und Nullfehlertoleranz. Wer von anderen gemieden, im wortwörtlichsten Sinn von Informationen abgeschnitten wird, dessen Selbstbewusstsein sackt in den Keller.

Das ist das Schwierige, viele Betroffene zweifeln zunächst an sich selbst. Suchen den Fehler bei sich. Sie entschuldigen die Kollegen, fragen sich: Hätte ich nicht freundlicher sein sollen? Sie sehen nicht sofort, dass sich etwas zusammenbraut, das gegen sie als Person geht. Bevor ihnen klar ist, dass sie keinerlei Schuld haben, ist das Selbstbewusstsein schon geschädigt, so dass man sich nicht wehren kann. In der Regel ist viel Zeit mit Selbstzweifeln vergangen.

Das geht bis zum sogenannten Sterbezimmer, wie das zynisch genannt wird.

Das ist eine Mobbinghandlung, jemanden räumlich zu isolieren, ihm ein entlegenes Büro zuzuweisen, keine Aufgaben, keine Informationen mehr zu geben und dann frech zu sagen: Wir hatten eine Sitzung, warum bist du nicht gekommen? Ich habe das kaum glauben können, in Krisenzeiten machen das tatsächlich manche Führungskräfte. Sie sagen mir dann im Gespräch: „Anders werde ich den ja nicht los.“

Ausgrenzen hat schlimme Auswirkungen.

Das hat mich bei all meiner langjährigen Praxiserfahrung bewegt: Studien belegen, dass die Folgen von Mobbing denen einer posttraumatischen Belastungsstörung entsprechen.

 

Gibt es Menschen, die schneller zum Opfer werden als andere?

Wir reden nicht von Opfern, weil es jeden treffen kann. Ich habe so viele Top-Leute kennengelernt, die gemobbt worden sind. Das weise ich von mir, dass wir diese Menschen stigmatisieren.

Wenn ich das Gefühl habe, gemobbt zu werden, Dauerkränkungen und systematischen Schikanen ausgesetzt zu sein, was soll ich tun?

Gut ist, sich einen Verbündeten zu suchen. Jemanden aus dem Team zu fragen, ob das wirklich so ist. Manchmal wird das schwierig, denn Menschen haben unbewusst Angst, dann selbst in die Rolle des Ausgegrenzten zu geraten, und sagen: „Ziehe mich nicht mit rein.“ Sie mischen sich nicht ein, weil sie fürchten, sonst der Nächste zu sein. Beim Mobben geht es darum, einen zu haben, auf dem die Wut und der Frust abgeladen werden.

Früher hat man von Sündenböcken gesprochen. Eine Strategie der Feigen, von Mitwissern, die dem Aggressor folgen.

Und genau das ist ein Aspekt, warum manche Leute dabei einfach mitmachen, damit es sie nicht trifft. Manche sind einfach nur gedankenlos, andere sind feige.

Finde ich keinen, der solidarisch zu mir steht, gibt es einen Plan B?

Sie wenden sich an die Personalvertretungen. Wenn diese gut geschult sind, arbeiten sie gemeinsam mit den Betroffenen und überlegen: Welche Unterstützung brauchen Sie, um gestärkt zu werden?

Fachleute empfehlen, ein Mobbing-Tagebuch zu führen.

Das halte ich für sinnvoll. Dafür gibt es gute Gründe. Erstens ist es ein anerkanntes Beweismittel in Arbeitsrechts-Prozessen. Zweitens ist möglicherweise darin erkennbar, dass ich vielleicht überreagiere. Denn das Tagebuch soll nur Fakten enthalten. Also zum Beispiel: „Freitag, 13. Januar, alle haben heute morgen ihre Unterlagen bekommen, nur ich nicht.“ Nicht alles, was schiefläuft, ist gleich Mobbing.

Stimmen Sie der These zu, dass Mobbing ein Chefproblem ist?

Es ist für mich eine Führungsaufgabe. Ganz abgesehen davon, dass ich es für ein wichtiges humanistisches Anliegen halte, mit Menschen vernünftig umzugehen. Das fällt in die Fürsorgepflicht von Vorgesetzten und zahlt sich auf jeden Fall aus. Wenn eine gute Konfliktkultur herrscht, ist mein Team auch auf Krisen gut vorbereitet.

Eine faire Streitkultur scheint sich auch finanziell auszuzahlen. Nach Schätzungen des Instituts für Markt- und Sozialforschung kosten die Fehltage, die durch Mobbing entstehen, die deutschen Unternehmen 2,3 Milliarden Euro im Jahr.

Ich kenne diese Zahl. Nicht zu unterschätzen dürfte auch die Arbeitszeit sein, die durch Mobben verlorengeht. Und das täglich und in der ganzen Gruppe.

Was mache ich denn, wenn ich vom Chef gemobbt werde?

In einem Drittel der Fälle geht es um Vorgesetzte, die mobben. Da lautet auch die Empfehlung, sich einen im Team zu suchen, der das ebenso beobachtet. Dann den Vorgesetzten des Chefs einschalten und die Personalvertretung informieren. Selbst zum Chef zu gehen und das direkt anzusprechen ist die beste Variante. Aber das fällt bei dieser Abhängigkeit schwer.

Das Gespräch führte Ursula Kals.

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