Arbeitskultur in Japan: Arbeit ist das ganze Leben
In Japan schuften sich Menschen sprichwörtlich zu Tode. Darum soll es mehr Freizeit geben. Doch die Japaner lassen sich nicht so einfach aus dem Büro locken.
Japans Ministerpräsident Shinzo Abe gönnte sich ein wenig Auszeit. Am letzten Freitag im Februar verließ er das Büro kurz nach 15 Uhr. Er meditierte mit dem Agrarminister an einem Tempel und genoss danach ein kurzes Freiluftkonzert im Ueno-Park. Das Erlebnis habe sein Leben bereichert, gab Abe zu Protokoll. Abends kam Abe seiner Konsumpflicht nach und dinierte mit zwei Schauspielern.
Abes öffentlichkeitswirksame Auszeit ist der Auftakt zu einer Kampagne von Regierung und Wirtschaftsverbänden, dem „Premium Friday“. Um 15 Uhr am letzten Freitag im Monat sollen Arbeiter und Angestellte nun den Arbeitsplatz verlassen, um zu konsumieren und sich am Leben zu erfreuen. So hatte die Regierung sich das ausgedacht. Eine Massenbewegung aber wurde daraus bislang nicht. Kaufhäuser berichteten über mehr Umsatz als am letzten Februar-Freitag vor einem Jahr. Manche Reiseveranstalter zeigten sich zufrieden, weil Angebote für das einige Stunden längere Wochenende gut gingen. Spezielle Sonderangebote fanden ihre Käufer. Viele Japaner aber kommentierten in Umfragen, dass sie angesichts ihrer Arbeitslast keine Zeit hätten, das Büro am Freitag früher zu verlassen. Selbst in den Ministerien waren am Abend noch viele Lichter an.
So einfach ist es offenbar nicht, die Japaner von einer kürzeren Arbeitszeit zu überzeugen und die Arbeitskultur zu ändern, obwohl das Land Arbeitszeiten bis spät in die Nacht und den Begriff des Karoshi, des Tods durch Überarbeitung, kennt. Generell ziemt es sich in Japan nicht, am Abend zu gehen, wenn der Vorgesetzte noch arbeitet. Japans Angestellte nutzen nach Angaben der Regierung im Durchschnitt nur 8,8 Tage oder weniger als die Hälfte ihres Urlaubsanspruchs. Im Kreis der Siebenergruppe (G7) ist Japan das Land mit der dritthöchsten Arbeitsstundenzahl im Jahr, nach den Vereinigten Staaten und Italien. Der durchschnittliche Japaner arbeitet laut OECD 348 Stunden im Jahr mehr als ein deutscher Arbeiter. Umgerechnet auf deutsche Verhältnisse, entspricht das in etwa drei Monaten Mehrarbeit im Jahr.
Auf begrenzte Gegenliebe stieß die Aktion bei den Unternehmen. Weniger als 40 Prozent der Großunternehmen wollten sich an der Aktion beteiligen. Manche ließen ihre Angestellten früher gehen, wenn sie am Freitagmorgen eine Stunde früher begannen. Andere Firmen mit liberalen Regeln für das Arbeiten von zu Hause empfahlen ihren Angestellten, diese Option zu nutzen. Für kleine und mittlere Unternehmen oder Geschäfte stellte sich die Frage eines verkürzten Freitags sowieso kaum, weil sie oft Mühe haben, genügend Mitarbeiter zu finden oder zu bezahlen.
Die Kampagne für den frühen Dienstschluss trifft sich mit Bemühungen der Regierung, die Zahl der Überstunden zu verringern. In fast einem Viertel der Unternehmen machen manche Angestellte mehr als 80 Überstunden im Monat. Die Regierung hat nun vorgeschlagen, die Zahl auf durchschnittlich 60 im Monat zu begrenzen.
Viel Getöse macht die Regierung darum, mit dem „Premium Friday“ die Japaner zu mehr Konsum anzuregen. Wirtschaftlich darf man sich aber nicht zu viel versprechen. Nach einer vielzitierten Studie des Dai-ichi Life Research Institute könnte der „Premium Friday“ aufs Jahr gesehen, den Konsum um rund 100 Milliarden Yen (830 Millionen Euro) steigern. Bei einem gesamten privaten Konsum von rund 300 Billionen Yen im Jahr ist das vernachlässigbar gering.
Von Patrick Welter
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