Sprachstil: Nur nicht nuscheln
Im Beruf ist es wichtig, deutlich zu sprechen und gut bei Stimme zu sein. Denn diese Fähigkeiten unterstreichen die Glaubwürdigkeit von Person und Botschaft. Wie lassen sich Stimme und Sprachstil trainieren?
Von Josefine Janert
Wenn „Tatort“-Kommissar Nick Tschiller alias Til Schweiger dem organisierten Verbrechen hinterherhetzt, dann sind sich viele Zuschauer in den sozialen Medien einig: Der nuschelt. Mit diesem Problem steht er nicht allein da. Dass unser Leben hektisch ist, wirkt sich auch auf das Sprechen aus. Denn um laut und kraftvoll zu sprechen, braucht man ausreichend Atemluft. Die Körperhaltung sollte aufrecht sein, so dass der Sprechapparat gut arbeiten kann, sagen Mediziner. Das ist dann schwierig, wenn man, wie Kommissar Tschiller, Türen eintritt oder sogar vor Kugeln in Deckung gehen muss.
Auch andere Menschen atmen ebenfalls flach, wenn sie viele Stunden am Tag in gekrümmter Haltung am Schreibtisch sitzen oder – im wahrsten Sinne des Wortes – nahezu atemlos von einem Termin zum nächsten hasten. „Die ständige Hektik führt sogar dazu, dass manche Menschen sich keine Zeit mehr dafür nehmen, die Endungen von Wörtern auszusprechen“, sagt die Berliner Logopädin Angela Brüggemann. „Der Rest des Wortes wird dann einfach verschluckt.“
Logopädie ist eine medizinische Sprachheilkunde. Logopäden behandeln etwa Schlaganfallpatienten und Kinder, die nicht über einen altersgerechten Wortschatz verfügen. Angela Brüggemann beobachtet, dass seit etwa zehn Jahren auch immer mehr Menschen zu ihr kommen, die im Beruf sprechen müssen und damit Probleme haben. Einige sind häufig heiser, andere reden so undeutlich, dass ihre Kollegen sie kaum verstehen. Manchen ist die Stimme im Büro sogar komplett weggeblieben.
„Ohne direkte Kommunikation läuft in unserem Arbeitsleben nichts mehr“, sagt Sprachexpertin Brüggemann und betont, dass „immer mehr Menschen offen dafür werden, an sich selbst zu arbeiten, um im Beruf gut zu sein“. Gerade junge Menschen würden, wenn sie nach passenden Angeboten suchen, auf ihre Homepage stoßen. Eine logopädische Behandlung hat indes nichts mit Selbstoptimierung zu tun. Sie ist laut Brüggemann für den Patienten „harte Arbeit“.
Die meisten Menschen, die in ihre Praxis kommen, hat ein HNO-Arzt oder eine Ärztin für Phoniatrie mit einer Diagnose und einer Verordnung für logopädische Sitzungen geschickt. „In dem Moment, da ein Organ mich daran hindert, meinen Beruf auszuüben, hat das einen Krankheitswert“, sagt Brüggemann. Mit Übungen unterstützt sie die Patienten bei der Genesung und berät sie, wie sie ihr Arbeitsumfeld so verändern können, dass es dem Sprechapparat zuträglich ist.
Wie wir arbeiten, also mit welchem Geräuschpegel, in welchem Tempo und in welchen Hierarchien – gerade solche Faktoren schlagen sich auf die Qualität der Stimme nieder. Dass sich dabei die Geschlechterrollen verändert haben, merkt man schon am Verhalten von Schauspielerinnen: In alten Filmen sprechen die Frauen oft einschmeichelnd und meist mit hoher Stimme. Inzwischen hat sich in der Welt des Films längst eine breite Vielfalt an weiblichen Rollen etabliert: etwa von naiv-leise bis hin zu selbstbewusst-laut, von der Prinzessin in der heilen Märchenwelt also bis zur Kommissarin im rauhen Großstadt-Revier.
Die professionelle Stimmtrainerin Anne Teschke beobachtet dagegen an vielen ihrer Klienten allerdings eine große Unsicherheit darüber, wer sie eigentlich sind. „In Teams, in denen sich viele duzen und fast alles in Diskussionen über Themen in Frage gestellt wird, ist es schwer, seine eigene Rolle zu finden“, sagt die ehemalige Radiojournalistin.
Die Berlinerin ist für Menschen tätig, die ihre Stimme aus beruflichen oder privaten Gründen trainieren möchten. Im Unterschied zur Logopädie zahlen die Krankenkassen dafür nicht. Menschen, deren Sprechapparat erkrankt ist, schickt Teschke auch zum Arzt. Sie coacht auch Menschen, die in der Öffentlichkeit bestehen oder durch Präsentationen brillieren müssen, und junge Schriftsteller, die beim Poetry Slam auftreten. Das ist ein Wettbewerb mit selbstverfassten Texten. Oft kommen zu ihr Akademiker, wenn sie im beruflichen Umfeld die Rolle wechseln, also meist mehr interne Verantwortung übernehmen wollen.
Genau das, sagt Anne Teschke, falle vielen besonders schwer. Das äußert sich in Unzufriedenheit mit der eigenen Stimme und dem Gefühl, von Kollegen in der neuen Rolle nicht so wahrgenommen zu werden, wie man sich das wünscht. Sie sieht eine Ursache darin, dass unsere Gesellschaft zwar einerseits die Individualität des Einzelnen betone, aber andererseits Zwang zur Konformität herrsche. Ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag zu legen oder eine herausragende Position einzunehmen verlange Mut, der vielen ihrer Klienten fehle.
Denn es kann ein Feedback folgen, das sie als unangenehm empfinden. Wenn also ein 35 Jahre alter Mann auf einmal Chef eines Teams ist, dem er zuvor als Mitarbeiter angehört hat, dann sei er unter Umständen enorm verunsichert, meint Anne Teschke: „Wenn ich meine Klienten zu Veranstaltungen begleite, zeigt sich das deutlich in der Körpersprache. Sie gehen einen Schritt auf ihr Team zu, dann wieder zurück.“ Sie selbst sind sich nicht klar über ihre Position. „Das wirkt sich auf das Sprechen aus“, sagt Teschke.
Sie erzählt von Männern, die 1,85 Meter groß, aber seit Jahren daran gewöhnt sind, sich klein zu machen. Entsprechend klein ist ihre Stimme. In der ersten Sitzung fordert sie ihre Klienten auf, sich zu recken und zu strecken und dann zu hören, wie die Stimme klingt. Oft sind die Klienten verwundert darüber, wie laut und klangvoll sie sprechen können. Sie berichtet von frischgebackenen Teamleitern, die vor Nervosität einen verspannten Nacken und Schlafprobleme haben und viel zu schnell und unartikuliert reden.
Häufig berät sie Mitarbeiter von Startups, junge Menschen in Sneakers und Kapuzenpullovern, die lässig sein wollen, aber als Vorgesetzte ihren Mitarbeitern klare Anweisungen geben sollten: „Alle sind lieb und freundlich zueinander und haben Angst, dass sie als Chefs aggressiv, arrogant und distanziert wirken“, beschreibt Teschke diese Scheu.
Die Logopädin Brüggemann beobachtet, dass gerade die jungen Frauen den Anspruch hätten, immer zu lächeln. In vielen Berufen würden sie dazu ermutigt. „Doch wenn die Mundwinkel nach oben gezogen sind, ist der Resonanzraum eng“, sagt sie. Folge: Die Stimme klingt leise, unter Umständen gepresst. Ideal sei es dagegen, wenn der ganze Körper als Resonanzraum wirkt. „Eine Grundlage dafür ist ein ausgewogener Rhythmus zwischen Atmung und Sprechen bei einer aufrechten Körperhaltung“, sagt Angela Brüggemann.
Die Sprech- und Stimmentrainings, die viele Bildungsträger anbieten, beginnen deshalb meist damit, dass die Teilnehmer sich ihre Körperhaltung bewusstmachen und versuchen, tief ein- und auszuatmen. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Krankenkasse Barmer, findet solche Trainings sinnvoll: Sie seien ein erster Schritt dahin, sich von schlechten Angewohnheiten zu verabschieden. Als Beispiel nennt die Ärztin den zwischen Kopf und Schulter eingeklemmten Telefonhörer. Diese Haltung sei auf Dauer ungünstig für Nackenmuskulatur und Kehlkopf.
Einfache Übungen im Alltag können schon viel bewirken. „Warum kann ich die fünf Schritte, die ich zum Kopierer laufe, nicht dafür nutzen, mich aufzurichten und tief ein- und auszuatmen?“, sagt Brüggemann. Wer ausreichend trinke, würde dafür sorgen, dass die Schleimhäute feucht bleiben. Das ist eine weitere Voraussetzung für gutes Sprechen: „Wer seine Stimme im Beruf braucht, sollte nicht rauchen“, fügt sie hinzu.
Ansonsten zögert die Logopädin mit praktischen Tipps, denn jeder Mensch habe eine andere körperliche und psychische Konstitution. Stimmcoach Anne Teschke sagt: „Man sollte zu einer Präsentation Kleidung und Schuhe anziehen, in denen man sich wohl fühlt. Frauen, die nie mit hohen Absätzen herumlaufen, sollten nicht an diesem Tag damit beginnen.“
Ursula Marschall erzählt von Angestellten, die sich aus falsch verstandener Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber und aus Angst um ihre Stelle erkrankt in den Betrieb schleppen. „Doch bei einer Erkältung sind die Stimmbänder entzündet“, sagt sie. Diese müssten ausgeheilt werden. Ansonsten drohe eine ernste Beeinträchtigung der Stimme.
In Angela Brüggemanns Praxis sind schon häufig Patienten gekommen, die mit den Folgen einer verschleppten Erkältung zu kämpfen hatten. Sie beobachtet außerdem, dass immer mehr Menschen im Beruf gegen eine andauernde Geräuschkulisse ansprechen müssen: Fitness-Trainerinnen, die zu lauter Musik vorturnen und dabei die Übungen erklären, Wissenschaftler, die mit einem schlechten Mikrofon vor hundert Studenten stehen, obwohl sie lieber still vor sich hin forschen würden, und viele andere. Oft sei die Stimmerkankung „nur das Tüpfelchen auf dem i“, meint Angela Brüggemann: Die Menschen seien unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Viele würden sich aber schwer damit tun, eine Veränderung einzufordern, etwa, weil sie wissen, dass der Arbeitgeber ohnehin kein Geld dafür hat.
Expertin Marschall findet, dass sie sich nicht zufriedengeben sollten. Als Ärztin weiß sie, dass sich ständiger Lärm langfristig auf die Gesundheit auswirken kann. Und das nicht nur stimmlich. Sie rät, zum Betriebsarzt oder zum Betriebsrat zu gehen und sich Unterstützung zu holen. „Gerade für Call Center gelten strenge Arbeitsschutz-Richtlinien, deren Einhaltung man einfordern sollte“, sagt sie. Helfen würden schon Gardinen. Die könnten zumindest Lärm schlucken.
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