Zufriedenheit im Beruf: Ganz okay ist voll in Ordnung

Kaum ein Arbeitnehmer, der nicht über seinen Berufsalltag jammert. Eine Karriereberaterin hält dagegen: Viele wüssten gar nicht, wie gut sie es hätten.

Von Ursula Kals

Manchmal schadet es nicht, einen nüchternen Blick auf das eigene Berufsleben zu haben. Wie zum Beispiel jener Frankfurter Zahnarzt, der sich in einer florierenden Gemeinschaftspraxis auf Kronen und Brücken spezialisiert hat und sein tägliches Wirken so zusammenfasst: „Ich mag meinen Beruf, aber spannend ist der nicht. Das wird überschätzt. Abends interessiert meine Kumpel nicht, ob ich fünf gute Kronen hinbekommen habe.“

Damit ist er allerdings, gefühlt, in der Minderheit. Nicht nur Stellenanzeigen fordern heute die totale Hingabe für eine Aufgabe. Auch viele Arbeitnehmer, insbesondere die jüngeren, machen ihr Lebensglück von ihrem beruflichen Erfolg abhängig. Und hadern, wenn sich dieses Gefühl dann doch nicht im gewünschten Ausmaß einstellen will. 45 Prozent der Angestellten in Deutschland sind mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden. 46 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland überlegen sogar, ihre Stelle in den nächsten zwölf Monaten zu wechseln. Das ergab die Studie „Jobzufriedenheit 2017“ des Personaldienstleisters Manpower Group Deutschland.

„Arbeit soll Erfüllung bringen. Das erzeugt bei vielen Menschen einen Wahnsinnsdruck“, beobachtet die Karriereberaterin Madeleine Leitner in ihrer Münchener Praxis. Leidenschaft mitzubringen sei ja gut und schön, aber nicht Zentrum eines geglückten Berufslebens. Bei der Diplompsychologin stranden formal erfolgreiche Menschen, die damit hadern, dass ihnen ihr Beruf keine Sinnstiftung und Selbstverwirklichung bietet oder das, was sie dafür halten. Die Beraterin beobachtet diese Entwicklung voller Skepsis. „Erschreckend viele Arbeitnehmer sind unzufrieden mit ihrem Job, das ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt. Gleichzeitig sind die generellen Arbeitsbedingungen in Deutschland nie so gut wie heute.“ Für Leitner zeigt dieser um sich greifende Frust eine verzerrte Wahrnehmung der Mitarbeiter. Sie ist überzeugt: „Ihre Arbeit ist wahrscheinlich viel besser, als sie denken.“

Dazu gehört auch die Erkenntnis: Nicht jeder Tag bietet beflügelnde Herausforderungen und zukunftsweisende Begegnungen. Doch wer besitzt schon die Abgeklärtheit zuzugeben, dass er sich in die Konflikte seiner Mandanten nicht allein deshalb versenkt, weil der Nachbarschaftsstreit über Koniferen intellektuell so anspruchsvoll ist, sondern vor allem, weil der Kläger einen ordentlichen Stundensatz zahlt?

Was aber rät Beraterin Leitner jemandem, der seit Jahren ungern zur Arbeit geht? Als Verhaltenstherapeutin betreibt sie Anamnese, fragt nach: Kam das schleichend oder plötzlich? Gibt es einen neuen Chef, neue Kollegen? Hat sich privat etwas verändert? Hat die Arbeit mehr Bedeutung im Leben? Statt mit diffuser Unzufriedenheit ins dichtbevölkerte Jammertal zu ziehen, helfe eine Situationsanalyse, sagt sie. „Möglicherweise jammern gerade alle im Bekanntenkreis. Oder mich verunsichert der Standardsatz, spätestens nach vier Jahren den Arbeitgeber zu wechseln.“ Die Karriereberaterin warnt in diesem Zusammenhang vor Schnellschüssen. Auslöser sind oft runde Geburtstage, dann fallen Sprüche wie „mit 30 ist der Lack ab“. Sie kann darüber nur den Kopf schütteln. „Zu denken, später habe ich die Wahl nicht mehr, ist falsch. Solche Daten werden bedeutungsloser.“ Sie kennt viele Menschen weit jenseits der 50, die noch interessante Stellenangebote bekommen. „Sämtliche Lebensmodelle ändern sich. Die Vorstellungen über Altersphasen haben sich geändert, das Arbeitsleben ist nicht mehr berechenbar.“

 

Übereilt zu kündigen, weil es sich nicht mehr richtig anfühlt, morgens ins Büro zu gehen, findet sie fatal. „Wir wissen aus der Psychologie: Egal auf welchem Level, alles, was Verschlechterung ist, wird wahrgenommen und negativ bewertet. Das betrifft den Multimillionär wie den armen Schlucker. Habe ich einen neuen Chef, der mehr fordert, aber nicht mehr Geld gibt, fällt mir das nachhaltig auf.“

Die Psychologin berichtet zum Beispiel von einem Klienten aus der Autoindustrie, dessen üppige Privilegien leicht gekappt wurden und den das ungemein aufregte. „Erst im Kontrast sehen solche Menschen, was es alles im Arbeitsleben gibt und dass diese Vorteile alles andere als selbstverständlich sind.“ Doch kritische Selbstreflexion fällt vielen Arbeitnehmern offenbar schwer. „Dabei nützt die gerade diesen ,Früher-war-alles-besser‘-Menschen. Die sind, um das drastisch zu benennen, jahrelang irrsinnig verwöhnt worden. Da sollte man die Dinge ins Verhältnis setzen“, sagt sie und betont: „Ganz okay ist in Ordnung.“

Ähnlich sieht es der Ratgeberautor Volker Kitz. Er plädiert in seinem bemerkenswerten Buch „Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss“ für einen pragmatischeren, nüchternen Umgang mit seiner Arbeit und erinnert daran, dass jede Arbeit aus guten Gründen „irgendwann zur Routine wird“. Das aber blenden die Do-what-you-love-Seligen gerne aus, die ohne Netz und doppelten Boden das Glück in einer völlig neuen Tätigkeit suchen. Vor allem dann, wenn die erhoffte Erleuchtung und der finanzielle Erfolg bei der Suche nach der wahren Berufung ausbleiben und die Gescheiterten am Ende frustriert in ihren alten Beruf zurückkehren. Mitunter erweist sich eine neue Stelle auch als Mördergrube. „Die Position besteht aus unlösbaren Aufgaben und entwickelt sich zum Schleudersitz.“ Madeleine Leitner hat das oft beobachtet. „Dann baut die Firma ab und die Neuen müssen als Erste gehen. Der vermeintliche Traumjob erweist sich als Albtraum.“

Für die chronisch Unzufriedenen hat die Psychologin Tipps, um Freude wiederzuerlangen. Mit anderen über deren Arbeit zu sprechen kann helfen, die eigene Einschätzung zu relativieren. Gleiches gilt für die Überlegung, warum man sich ursprünglich für diesen Beruf oder diese Stelle entschieden hat. Gab es andere Optionen – warum hat man die nicht gewollt? Hat sich etwas Grundlegendes geändert? Was ist aktuell alles positiv? Das gute Betriebsklima? Die Sicherheit? Das Gehalt? Genügend Zeit für das Privatleben? Vielleicht schneidet die Arbeit doch gar nicht so schlecht ab. „Allein diese Erkenntnis hat schon viele dazu motiviert, wieder mit neuem Schwung an ihre alte Arbeit zu gehen“, sagt Leitner. Und wenn die Positivliste zu kurz gerät? „Dann kann man auch über einen Wechsel nachdenken.“

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